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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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richtige Sekunde warten, um noch einmal zu versuchen, das Triebwerk neu zu starten. Und dazwischen, über das Tosen des Sturms hinweg, immer die leisen Geräusche vom Rücksitz.
     
    Baedecker, der in seinem tiefsten Inneren weiß, daß Dave kein Narr war, kann sich vorstellen, daß Dave als erster verächtlich über die sentimentale Andeutung geschnaubt haben würde, ein Pilot könnte zwei Sekunden zu lange in einem abstürzenden Flugzeug bleiben, wegen eines Hundes, aber Baedecker kann sich an den Tonfall von Daves Stimme vor drei Monaten erinnern, als er sagte: »Ich glaube, glücklicher bin ich nie gewesen«, und in diesem Tonfall hört er die Möglichkeit, eine oder zwei Sekunden zu warten, wo keine Verzögerung zulässig ist, und sieht den Tropfen, der das Faß der Entschlossenheit eines Testpiloten zum Überlaufen bringt, ein schrottreifes Flugzeug zu retten.
    »... dankbar, daß du das getan und mich informiert hast, Richard«, sagte Diane. »Ich habe nie daran gezweifelt. Es gab nur so viele kleine Fragen, auf die ich keine Antworten wußte.«
    »Di«, sagte Baedecker. »Ich weiß, warum Dave nach Lonerock gekommen ist. Er hatte ein ganz besonderes Geschenk, das er dir und dem Baby geben wollte.« Baedecker macht eine Pause. »Es war ... äh ... war noch nicht bereit, als er hier war«, lügt er. »Aber ich werde es heut abend mitbringen, wenn du einverstanden bist.« Baedekker blickt zu dem Toyota, wo der Welpe in der Schachtel auf dem Rücksitz kratzt, gleich neben der Schachtel mit Daves Manuskript.
    »Ja«, sagt Diane und holt tief Luft. »Richard, du weißt, daß wir laut Ultraschall einen Jungen bekommen.«
    »Dave hat es mir erzählt«, sagt Baedecker.
    »Hat er dir auch die Namen genannt, an die wir gedacht haben?« fragt sie.
    »Nein«, sagt Baedecker. »Ich glaube nicht.«
    »Wir waren uns beide einig, daß Richard schön wäre«, sagt Diane. »Besonders, wenn du das auch findest.«
    »Ja«, sagt Baedecker. »Das finde ich auch.«
     
    Baedecker fährt auf der Country Road 218 nach Süden, durch Mayville und Fossil hindurch, und überquert den
     John Day River gleich hinter Clarno. Die Straße zum Ashram ist ein breiter Schotterweg, der von der asphaltierten Landstraße nach Norden abzweigt. Baedecker fährt drei Meilen und denkt an Scott. Er erinnert sich an die Rückfahrt nach Housten in jenem Watergate-Sommer vor so langer Zeit, als Baedecker weiter mit seinem Sohn reden wollte, es aber nicht konnte und trotz allem spürte, daß Scott auch reden, etwas verändern wollte.
    An einer Stelle, wo der Weg zwischen zwei tiefen Gräben schmaler wird, befindet sich eine Straßensperre. Eine blaue Limousine parkt quer über die Straße und versperrt sie. Links steht ein kleines Gebäude mit schrägem Dach, braunen Wänden und einem einzigen Fenster. Es soll ein Wachlokal sein, aber Baedecker muß an die überdachten Bushaltestellen denken, die man in Oregon am Straßenrand findet. Er hält an und steigt aus dem Toyota aus. Der Welpe schläft auf dem Rücksitz.
    »Ja, Sir, können wir Ihnen helfen?« sagt einer der drei Männer, die aus dem Schuppen kommen.
    »Ich möchte vorbei«, sagt Baedecker.
    »Tut mir leid, Sir, weiter darf niemand«, sagt der Mann. Zwei der drei sind groß und bärtig, aber der Sprecher ist der größere der beiden, er ist mindestens einsneunzig groß. Er ist Anfang Dreißig und trägt ein rotes Hemd unter der Felljacke. Auf der Jacke hat er eine Plakette angesteckt, und Baedecker kann das Bild des Guru darauf erkennen.
    »Das ist die Straße zum Ashram, oder nicht?« fragt Baedecker.
    »Ja, ist aber geschlossen«, sagt der zweite Mann. Er trägt ein dunkles, kariertes Hemd, und Baedecker fällt ein billiges Abzeichen eines Wachdienstes auf, das daran festgesteckt ist.
    »Der Ashram ist geschlossen?«
    »Die Straße ist geschlossen«, sagt der große Mann, und Baedecker kann den veränderten Tonfall hören. Kein ›Sir‹ mehr. »Und jetzt kehren Sie bitte um.«
    »Ich bin hier, um meinen Sohn zu besuchen«, sagt Baedecker. »Ich habe gestern mit ihm telefoniert. Er war krank, ich möchte ihn sehen und eine Weile mit ihm reden. Ich lasse mein Auto hier, wenn Sie mich hinfahren wollen.«
    Der große Mann schüttelt den Kopf und kommt drei Schritte näher, und nach dieser kurzen, aus Drohung und Vorfreude zusammengesetzten Bewegung weiß Baedecker, daß man ihn nicht vorbeilassen wird. Er hat diesen Mann nie gesehen, kennt ihn aber gut; er hat den Typ in Bars von San Diego bis

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