In der Stille der Nacht - Thriller
versucht ihre Angehörigen zu finden …«
Er schüttelte traurig den Kopf. »Kein Problem.«
Da er nicht wusste, was er jetzt sagen sollte, wandte er sich wieder zum Fenster. Die Frau war über siebzig, vielleicht über achtzig, ihr Haar wurde schütter wie das eines kleinen Vogels, graues Haar auf einem Schädel. Sie lag gestützt auf makellosen Kissen, rührte sich aber nicht. Wenn sie ausatmete
bildete sich ein hauchzarter Kondensationsfilm in der Maske, aber sie atmete kaum noch.
Die Schwester legte ihre Hand freundlich auf seinen Arm. »Möchten Sie reingehen und Sie sehen?«
Pat nickte traurig und sie nahm ihn an der Hand, führte ihn durch die Tür in den Raum hinein. Ein stummer Herzmonitor blinkte ihn orangefarben an. Im Zimmer roch es nach Apfelsinen gemischt mit Talk. Die mitfühlende Schwester führte ihn an die Seite des Betts und brachte ihm einen Plastikstuhl, auf den er sich setzte. Graues Fleisch auf einem Schädel. Hände von papierdünner Haut bedeckt, Venen, in denen man das Pochen des Pulses sah. Ein schmaler Ehering und ein mickriger Verlobungsring hingen lose an dünnen Fingern. Er sah, dass der Verlobungsring hinten mit Pflaster umwickelt war, damit er nicht abfiel.
»Ich lasse Sie alleine.« Sie ging hinten ums Bett herum und zog die Vorhänge zwischen Fenster und Gang zu.
»Nein, nein, nein, bitte - es ist besser, wenn das Licht an ist …«
Das klang dumm. Hinter ihm war ein Fenster, vom Gang her kam kein Licht, aber die Schwester war es gewohnt, dass trauernde Menschen dumme Bemerkungen machten und richtete sich danach. »Natürlich«, sagte sie und zog sich aus dem Zimmer zurück, ließ Pat alleine.
Auf einem Schild über dem Bett stand, dass ihr Name Minnie Welbeck war. Für den Fall, dass die Schwester noch einmal ins Zimmer sehen sollte, nahm Pat ihre rechte Hand in seine beiden Hände und spürte ihre kalten Fingerspitzen, die Handfläche war warm, als würde sie von den Extremitäten angefangen nach innen hin sterben.
Er war gekommen, um sich aufzumuntern, um das schöne
Mädchen in Sonnenlicht getaucht im Bett sitzen zu sehen. Er hatte an nichts anderes gedacht, als daran, sie zu sehen, seit er ins Auto gestiegen und von Breslin’s weggefahren war, aber irgendwas hatte Minnie, von dem er sich nicht losreißen konnte. Sie war verheiratet gewesen, vielleicht verwitwet. Und jetzt starb sie, alleine, dort wo sie niemandem im Weg war, neben den Toiletten.
Langsam, wie eine große welkende Blume auf hochempfindlichem Film festgehalten, sank Pat über seine Knie nach vorne auf die kleine Hand in seinen Händen. Zart wie einen Lufthauch spürte er Minnies Fingerknöchel an seiner Stirn und weinte.
Hier wurden keine Lamborghinis verkauft, so viel stand fest. Ein unbekannter junger Mann hatte den Lexus gefahren, hatte ein bisschen prollig ausgesehen, ganz eindeutig nicht der Besitzer, ganz bestimmt nicht Edward Morrisson, der Halter des Fahrzeugs, der den Wagen gemietet und eine Fotokopie seines Personalausweises in der Avis-Filiale hinterlegt hatte. Der Junge blieb draußen vor dem Maschendrahtzaun stehen, telefonierte und wurde von einem alten Mann durchs Tor gelassen. Morrow und Harris fuhren auf die andere Straßenseite und hörten über Polizeifunk, dass sich ihnen ein nicht näher identifizierter Mann, groß, breit, offenbar mit Schlüssel, näherte und die beiden Vorhängeschlösser am Tor auf und anschließend hinter sich wieder zuschloss.
»Ich hab einen Audi vor dem Haus der Anwars in der Nacht gesehen, in der der alte Mann entführt wurde«, sagte sie zu Harris.
»Glaubst du Billal war’s?«
»Möglich.«
Das Gebäude war als Autohaus erbaut worden, aber bereits vor sehr langer Zeit. Der Vorhof war leer, Unkraut wucherte aus den Ritzen. Sonne und Regen hatten die fröhlichen Fähnchen ausgebleicht, die an dem rostigen Maschendraht klebten. Das Gebäude befand sich in einem Industriegebiet über drei Kilometer außerhalb der Stadt, von nirgendwo aus sichtbar. Wahrscheinlich war der Laden unter der Führung unterschiedlicher Besitzer pleitegegangen und billig verkauft worden. Die Firma, der es jetzt gehörte, war laut Routhers Ermittlungen eine Strohfirma. Sie war zwar ordentlich registriert, machte aber mit niemandem Geschäfte und wartete laut Steuererklärung immer noch darauf loszulegen. Auf der Liste der Geschäftsführer fand sich kein einziger bekannter Name. Billal war schlau.
Für eine ruhende Firma waren allerdings eine Menge Sicherheitsvorkehrungen
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