In der Stille der Nacht - Thriller
Faden verloren.
»Zum Haus?«
»Ja, bin über das kleine Gartenmäuerchen da gesprungen, weitergerannt, an der Ecke hätte es mich fast zerlegt, ich konnte mich aber wieder fangen und bin nicht hingeknallt, dann zur Tür …«
»Stand die Haustür offen oder war sie geschlossen?«
»Äh, geschlossen.«
Aufgrund seiner kurzen Sätze, dem entrückten Blick, der Art, wie er die Augen niederschlug, um sich an die Straße zu erinnern und an das Gartenmäuerchen, und wie er die Hand ausgestreckt hatte, um nicht zu fallen, war Morrow sicher, dass er die Wahrheit sagte.
»Die Tür war zu …«
»Haben Sie die Tür geöffnet?«
Bannerman sollte ihn nicht andauernd unterbrechen, er störte den Erinnerungsprozess. Während eines längeren Redeflusses war es viel leichter eine Lüge zu erkennen, weil der stilistische Bruch stärker auffiel. Das lag an der Kamera, Bannermann wollte unbedingt eine Show abziehen. Sie beneidete ihn um sein Selbstvertrauen, wusste aber auch, dass es ihm zum Verhängnis werden konnte.
»Ja, ich habe sie aufgemacht.« Omar sah Bannerman an, in der Erwartung, zum Weitersprechen aufgefordert zu werden.
»Und?«
»Und …« Er hielt inne, sah in die Kamera und erstarrte einen Augenblick, da er begriff, dass fremde Augen über ihn urteilten. Er runzelte unvermittelt die Stirn, wie ein Kind, das sich herausreden wollte, und sah weg. »Was meinen Sie - und?«
»Was haben Sie gesehen, als Sie die Tür aufmachten?«
Omar sah wieder in die Kamera, aber seine Gesichtszüge
hatten sich jetzt entspannt. »Hab meine Familie da im Flur stehen sehen, auf der rechten Seite.« Er streckte seine Hand aus, um deren Position anzuzeigen. »Hab auch meinen Bruder Billal da gesehen, an der Tür, er stand vor seinem Zimmer. Die Tür hinter ihm war offen. Hab meine kleine Schwester gesehen, Aleesha«, ein Kloß blieb ihm bei der Erwähnung ihres Namens im Hals stecken. »Sie stand mit erhobener Hand links.« Er hob seine linke Hand und verdrehte das Handgelenk wie die Freiheitsstatue. »Alle starrten auf ihre Hand …« Sein Kinn kräuselte sich und ihm blieb die Luft weg.
»Was war mit den anderen Männern?«, fragte Bannerman knapp. Er beschäftigte sich mit seinen Notizen und übersah das alles.
»Die Männer …«, Omar schüttelte sich, »die Männer standen im Flur, ja. Einer bei meiner Familie, zwischen mir und meiner Familie, der andere stand vor Aleesha, hat sie angesehen. Die Pistole hing hier unten«, Omar zeigte mit der Hand einen neunzig Grad Winkel auf der Höhe seiner Oberschenkel an.
Morrow beugte sich vor.
Omar zeigte mit zwei Fingern auf den Boden, die Hand flach ausgebreitet, nicht im Einklang mit seinem Körper. »Aus der Pistole hat’s gequalmt. Ich hab ihm ins Gesicht gesehen und gedacht, dass er ein echt schmales, langes Gesicht hat, weil er eine Skimütze trug, und ich ihn nur von der Seite gesehen habe. Aber dann hat er den Mund zugemacht …«
»Da waren also zwei Männer?«
»Zwei Männer …«
»Was hat der andere getan?«
Bannerman kapierte es einfach nicht.
Morrow wäre am liebsten in den Fernseher gesprungen und hätte ihn auf den Winkel von Omars Hand aufmerksam gemacht, auf seine Mimik. Dem Gangster war der Mund vor Schreck offen stehen geblieben; der Rückstoß hatte seine Hand zur Seite geschlagen. Er war nicht darauf vorbereitet gewesen, hatte den Ellbogen nicht im richtigen Winkel gehalten und die Muskeln nicht entspannt. Er war von der Wucht des Rückstosses überrumpelt worden. Was bedeutete, dass sich der Schuss entweder aus Versehen gelöst oder er noch nie zuvor einen Schuss abgegeben hatte.
Unruhig sah sie zu den anderen Beamten, die neben ihr saßen und nahm zur Kenntnis, wer sich von ihnen so wie sie ungeduldig dem Bildschirm entgegenreckte und Bannerman am liebsten den Mund verboten hätte. Drei von acht. Harris, zwei Plätze weiter in der ersten Reihe, gehörte zu ihnen: Ihre Blicke trafen sich, das »Oh« seines Mundes verfestigte sich.
Im Fernseher fuhr Omar fort: »Er schreit ›Rob! Wer ist Rob?‹ Er rennt zu Mo und sagt ›Du bist Rob!‹, und dann haben sie Dad gepackt und mitgenommen.«
»Wurden Sie auch gefragt, ob Sie Rob sind?«
»Ich?« Omar berührte seine Brust und guckte überrascht. »Na ja, er sah sich um und sagte ›Wer ist Rob? Einer von euch ist Rob.‹«
»Aber hat er zu Ihnen gesagt ›Du bist Rob‹?«
»Zu mir?«
»Ja, zu Ihnen.«
»Äh, ja, ich glaube schon, aber meine Mum meinte: ›Oh nein, nicht mein Omar‹, und dann
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