In der Stille der Nacht - Thriller
mit Papierkram und unvermittelter Gewaltanwendung erforderte eine ganze besondere Sorte Mann.
Sie murmelte einen Gruß zurück und öffnete die Tür zur Lobby. Omar und Billal erkannten sie. Omar stand auf, in der Hoffnung, sie würde ihn aus der Gesellschaft seines finster dreinblickenden Bruders befreien.
»Nein«, sie hob die Hand. »Ich bin nicht gekommen, um Sie zu holen, ich werde die Befragung nicht leiten, ich will nur da rein.«
Sie zog sich in den Gang, der zu den Büros des CID führte, zurück. Nachdem sie einen Sicherheitscode eingegeben hatte, öffnete sich die Tür und sie war froh, in dem langen Flur verschwinden zu können.
MacKechnies Büro befand sich ganz hinten, so dass er sich in die Tür stellen und alle anderen im Blick behalten konnte. Was er nie tat.
Die Eindeutigkeit der Rangfolge gehörte zu den Dingen, die Morrow am Polizeidienst ganz besonders schätzte. Sie wusste, von wem sie einzustecken hatte und gegen wen sie
austeilen durfte. Das leuchtete ihr ein. Sie hatte das Gefühl, MacKechnie fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Rolle als Verantwortlicher und entschuldigte sich für seinen Status, indem er so tat, als würde er zuhören. Seinen Führungsstil würde man am besten mit einer Reihe von bescheuerten Modewörtern beschreiben: inklusiv, intrinsisch, integral.
Selbst um halb vier Uhr morgens war auf dem Gang noch einiges los. Bei MacKechnie brannte Licht, die Tür stand offen, sein Büro war leer. Ein Ermittlungszimmer wurde neben der Teeküche eingerichtet. Sie sah zwei Uniformierte, die einen Tisch trugen und Mühe hatten, damit durch den Türrahmen zu kommen.
Sie ging in ihr eigenes Büro, schaltete das Licht ein und ließ ihre Handtasche fallen. Bannerman und Morrow mussten sich ein Büro teilen, aber das schweißte sie nicht zusammen, sondern brachte ihre Differenzen nur noch stärker zum Vorschein. Bannermans Computer war eingeschaltet, als Bildschirmschoner hatte er ein mit Photoshop bearbeitetes Bild von sich selbst ausgewählt, es zeigte seinen Kopf auf dem Körper eines Bodybuilders. Zum totlachen. An der Unterseite seiner Maus befanden sich lilafarbene Lichter, die ihre Augen ablenkten, wenn er damit hin und her fuhr. In seiner Schreibtischschublade hortete er Kaugummi und gesunde Fitnessriegel, weil er, wie sie ihm unterstellte, Angst hatte, dick zu werden.
Auf Morrows Schreibtisch war alles neu, aufgeräumt und anonym. In einer Schublade lagen fein säuberlich Stifte, ein Anspitzer und ein Vorrat an Schmierheften, immer drei, für Notizen. Sie verwendete gerne frische und warf sie weg, sobald sie einmal benutzt worden waren. Ihr gefiel der Gedanke, ihr Schreibtisch könne jedem, egal wo gehören, weil
er keine Geschichte hatte, und sie ihre Persönlichkeit davon fernhielt. Nichtssagend wie die Farbe beige, so gefiel es ihr.
Sie hängte gerade ihre Jacke an den Haken neben der Tür, als sie Harris im Gang stehen sah.
DC Harris war klein mit kantigen Gesichtszügen, als wäre er im Freien aufgewachsen. Er war liebenswert, sprach mit dem monotonen Dialekt aus Ayrshire und wirkte stets irgendwie überrascht: Die Augenbrauen hatte er hochgezogen und den Mund geöffnet, als wollte er ein langgezogenes »Oh« ausstoßen.
»Ma’am?« Er schien aufgeregt. »Toll, oder?«
»Meinst du?«
»Ja, na klar.« Wahrscheinlich hatte er eine routinemäßige Nacht erwartet, sich dann aber mit einem echten, mysteriösen Rätsel konfrontiert gesehen, anstatt mit der immer gleichen häuslichen Gewalt und den Betrunkenen, die sich gegenseitig wegen eines Päckchens Zigaretten verprügelten. »Ich hab Pause. Willst du zusehen?«
»Wobei?«
»Bannerman glaubt, der jüngste Sohn steckt mit drin. Er hat ihn in Raum drei.«
Bannerman hatte ihrem Interesse an Omar einen Riegel vorgeschoben und jetzt sah sie rot ohne nachzudenken, ärgerte sich, dass sie so leicht zu durchschauen gewesen war. Harris merkte das, ihm fiel wieder ein, dass es eigentlich ihr Fall hätte sein sollen und sie tat ihm leid. Zum Trost sagte er: »Kommst du trotzdem mit?«
Sie biss sich auf die Lippe, versuchte ihren beleidigten Gesichtsausdruck abzustellen und neutral zu gucken. Sie sagte: »Ja, klar, scheiß drauf« und folgte ihm zur Tür hinaus, an
Billal vorbei und durch die Tür ganz hinten im Gang zur Treppe.
Sie stiegen in den zweiten Stock zu einem Raum, in dem es ständig nach abgestandener Gemüsesuppe stank.
Alle vom CID hatten anscheinend Pause. Orangefarbene Plastikstühle standen in zwei
Weitere Kostenlose Bücher