In der Stille der Nacht - Thriller
schiefen Viererreihen, aber sie waren bereits besetzt. MacKechnie musste wohl Erlaubnis gegeben haben. Ein kleiner DC stand auf und bot Morrow seinen Platz in der ersten Reihe an, woraufhin sich alle anderen anwesenden Männer aus Respekt vor ihrem Dienstrang ebenfalls erhoben, bis sie sich gesetzt hatte.
»Ja, ja«, sie machte eine wegwerfende Handbewegung, »nur die Ruhe, das ist keine Parade.«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Männer wieder auf ihren Stühlen zusammensackten, nicht so wie zuvor, sondern den Vorschriften entsprechend entspannt, aber wachsam. Das gab ihr das Gefühl mächtig zu sein. Sie behielt den kastenförmigen schwarzen Fernseher an der Wand im Auge.
Bei der Kripo wurden die Verhöre aufgenommen und dank der Kameras war es möglich, alle auf dem Laufenden zu halten. Allerdings war es nicht jedermanns Sache beobachtet zu werden, allerdings nicht aus Gründen der Schamhaftigkeit. Einige zogen Verhöre lieber alleine durch, auch um einzelne Fragen selbst besser vertiefen zu können. Man brauchte eine Menge Selbstvertrauen, wenn man die anderen Beamten zusehen ließ.
Morrow fand, die Verhörtechnik hatte durch die Beobachtung der anderen etwas seltsam Angespanntes bekommen. Verhöre waren heutzutage anders, verliefen beherrscht und förmlich, und die Beamten, die die Fragen stellten, verhielten sich meist auch noch dem abgewracktesten Penner
gegenüber respektvoll. Sie sprachen auf fast schon bizarre Weise mit Bedacht, als würden sie eine Aussage vor Gericht machen.
So war das früher nie gewesen. Morrow erinnerte sich an Verhöre, aus der Zeit als sie noch jünger war, die einer betrunkenen Polka glichen, Beamte und Verdächtige tanzten ungestüm und immer schneller um die Fakten herum, bis schließlich etwas zu Bruch ging. Jetzt war es eine gezierte Quadrille, deren Regeln unerschütterlich feststanden, bis schließlich jemand kapitulierte oder durch die anstrengenden Bewegungen nicht mehr zu Atem kam.
Morrow glaubte, am Verhalten ihrer Kollegen deren Selbstverständnis erkennen zu können: Manche hatten Spaß daran, rechneten mit einer positiven Reaktion seitens der Zuschauer. Andere kamen gar nicht damit zurecht, erstarrten, blickten in die Kamera und mussten an einen Kollegen übergeben. Morrow fand, sie wirke durch das Auge der Kamera betrachtet verschlagen, schuldiger als die Kriminellen, die sie verhörte.
Die Einstellung des Raums war schlecht gewählt. Es ging nicht darum, die Nuancen eines Gesichtsausdrucks einzufangen, sondern nur darum zu beweisen, dass niemand mit Schlägen drohte. Weil die Kamera hoch oben an der Wand befestigt war, wirkte der Raum schmaler, als sie ihn kannte, klaustrophobischer. Das Bild war körnig, die Farbe aus dem Raum abgezogen. Stattdessen wirkte er grau, blau und gelb eingefärbt. Man sah einen Holztisch mit vier Stühlen, einen Lichtschalter und die leicht geöffnete Tür, man sah den Staub, der sich oben auf der Kante gesammelt hatte.
Plötzlich ging die Tür ganz auf und Omar Anwar kam herein. Die Beamten im Fernsehzimmer jubelten ihm verhalten
zu, verhalten deshalb, weil Morrow dabei war. Trotzdem hatte sie sich seit ihrer Beförderung ihren Kollegen nicht mehr so kameradschaftlich verbunden gefühlt wie jetzt und sie stimmte nicht ein, aber lächelte immerhin.
Das gefiel den Männern.
Omar kam in Schräglage in den Raum geschlappt, als besäße er eine zusätzliche Wirbelsäule, er schob die Hüfte vor und bog sich wie ein Fragezeichen, als er seinen Plastikbecher mit Wasser auf den Tisch stellte. Bannerman folgte ihm und einige seiner Fans jubelten erneut. Morrow stieg nicht darauf ein und merkte, dass die anderen ebenfalls verstummten.
Anschließend betrat ein dicker Beamter mit dem Spitznamen »Gobby« das Zimmer. Gobby sagte nur selten etwas. Bannerman hatte ihn ihr vorgezogen, das wurde ihr nun bewusst, damit er besser glänzen konnte.
Jemand hinter ihr murmelte: »Super-Bannerman wird ihn festnageln.« Der Spitzname schmeckte gallig in ihrer Kehle.
Auf Bannermans Aufforderung hin setzte sich Omar breitbeinig vor die Kamera, ein ganzes Stück vom Tisch entfernt, um mehr Platz zu haben. Sein Gesicht war nicht besonders gut erkennbar, aber seine Körperhaltung war schon aussagekräftig genug. Er war nervös, griff nach dem Wasser, zog die Hand wieder zurück, zappelte auf seinem Stuhl, während Bannerman die Jacke auszog und sorgsam über die Stuhllehne hängte.
Er ließ sich Zeit, setzte sich, krempelte seine Hemdsärmel hoch,
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