In der Stille der Nacht - Thriller
man.« Sie nickten aneinander vorbei, wünschten sich beide auf jeweils eigene Art, dass dies leichter wäre.
»Und das Baby?«, fragte er.
»Hab in letzter Zeit keins mehr bekommen«, antwortete sie schnell, versuchte mit einem Scherz von der Frage abzulenken. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie weiteratmen musste. Sie lächelten aneinander vorbei. »Nein, es geht ihm gut. Gut. Hab dir den hier mitgebracht.«
Sie stellte die Flasche Single Malt auf den Küchentresen, er kicherte, berührte den Verschluss mit dem Finger.
»Aufmerksam.«
Verwirrt blickte Crystyl von einem zum anderen. Danny trank nicht.
Alex lächelte von ihm weg. »So bin ich. Alles Gute zum Geburtstag, Danny.«
»Hab deinen verpasst.«
»Ich mach mir nichts draus«, sagte sie ehrlich.
Crystyl schnappte nach Luft und schob sich an Alex vorbei zu Danny, schlang die Arme um seinen Bauch und drückte ihm ihre Titten in die Seite. Sie boxte ihn leicht und scherzhaft. »Den Geburtstag deiner kleinen Schwester! So ein Arschloch - entschuldigt meine Ausdrucksweise - du bist ein schlimmer Arsch, Danny.« Sie lächelte. »Total.«
Danny setzte ein ernstes Gesicht auf. »Alles klar, Schatz«, sagte er, legte eine Hand um Crystyls schmale Taille und drückte sie. »Ich bin dann weg, ich bring Alex runter«, und an Alex gewandt: »Hast du auf der Straße geparkt?«
»Ja.«
Er wusste warum, und es verletzte ihn ein bisschen, das merkte sie ihm an.
Crystyl hüpfte auf Zehenspitzen zur Fahrstuhltür, ihr Pferdeschwanz sprang vor ihnen auf und ab. Sie blieb an derselben Stelle stehen, wo sie bei Alex’ Eintreffen gestanden hatte, und ließ sie nun an sich vorbei. Sie musste wohl denken, dass sie dort im Licht gut aussah und aus dieser Perspektive am vorteilhaftesten wirkte, so dass, wer auch immer sie vom Fahrstuhl aus dort erblickte, sich vielleicht liebevoll an sie erinnern würde, wenn er im Laufe des Tages anderen Leuten die Finger in einer Wagentür einklemmte.
»Tschüss, mein Schatz.« Sie warf ihm eine Kusshand zu.
Danny, der noch ziemlich müde wirkte, hob die Hand, um den Kuss in seiner Faust zu fangen. Die Tür schloss sich.
Die Spiegel an allen vier Wänden warfen ihnen ihren Anblick zu: beide groß, blond, beide vierunddreißig, beide mit denselben Grübchen in den Pausbacken wie ihr Vater. Sie sahen an ihnen beiden noch niedlich aus, babyartig, aber von ihrem Vater wussten sie, dass sich die Grübchen mit zunehmendem Alter in tiefe hängende Scharten verwandeln würden. Ihr Vater sah aus, als hätte er sich mit einem Messerstecher angelegt, der vom Symmetriezwang besessen war. Abgesehen davon, sahen sie sich nicht ähnlich. Alex kam, was Augen und Kinn anging, mehr nach ihrer Mutter, Danny hatte den verkniffenen gemeinen Mund seiner Mutter geerbt.
Drei Monate lagen zwischen ihnen. Ihr Vater war zu seiner Zeit ein Weiberheld gewesen und hatte mehrere Familien gleichzeitig gehabt. Alex’ Mutter war naiv und hatte ihn mit einer Leidenschaft geliebt, die abkühlte, als das Baby kam. Dannys Mutter war jünger, aber Enttäuschungen bereits
gewohnt. Danny wuchs nicht mit Scham und Wut auf, sondern in einem Haushalt, in dem eine Reihe nichtsnutziger Männer und der Alkohol das Sagen hatten.
Alex und Danny lernten sich an ihrem ersten Schultag kennen. Sie sahen aus wie Zwillinge, das sagten alle, es war ein unschuldiger Scherz. In ihrem ersten Schuljahr wurden sie ein unzertrennliches Paar, eine Freundschaft, die abrupt endete, als sich ihre Mütter am Schultor begegneten. Eine von Alex’ lebhaftesten Erinnerungen an ihre Kindheit war, wie sie durch einen Park nach Hause ging, während ihrer schluchzenden Mutter Blut aus dem Mund auf den grauen Gehweg tropfte. Bei der Prügelei war ihre Bluse zerrissen und alle konnten ihren BH-Träger sehen.
Damals wechselte man nicht die Schule. Danny und Alex gingen zusammen zur Grundschule und dann zur weiterführenden. Die ganze Zeit über hing das Damoklesschwert über ihnen, dass sich ihre Mütter erneut prügeln könnten, dass etwas passieren musste.
Sie war froh, als Dannys Mutter starb - da waren sie beide zwölf. Und zweifellos war auch er froh, als ihre starb - da waren sie dann schon sechzehn Jahre alt - aber sie bekam nichts davon mit: Damals war er schon lange nicht mehr auf der Schule.
Sie hatte Glück, niemals den Namen McGrath getragen zu haben, das wurde ihr später klar. Ihre Mutter hatte ihn immer für sie beanspruchen wollen, aber ihr Vater wollte sie nicht als seine Tochter
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