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In der Stille der Nacht - Thriller

In der Stille der Nacht - Thriller

Titel: In der Stille der Nacht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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kleine Mann?«

    »Welcher kleine Mann?«
    »Der Mann, der kleine schwarze Mann.«
    »Mr Anwar?«, korrigierte Morrow sie.
    »Heißt er so?« Die Frau lehnte sich zur Tür heraus, hielt nach ihrem Bus Ausschau und kam noch einmal herein, um zu fragen: »Ist er krank? Liegt er im Krankenhaus?«
    »Mr Anwar war heute leider verhindert. Wie lange kommen Sie schon regelmäßig her?«
    »Über zwanzig Jahre. Wieso?«
    »Und dann wissen Sie nicht, wie er heißt?«
    »Meinen Namen kennt er ja auch nicht.« Sie starrte Morrow an. »Egal, sagen Sie ihm, dass ihm die Frau mit den zwanzig Kensitas und den vier Brötchen gute Besserung wünscht. Und meine Enkeltochter ist wieder raus aus dem Krankenhaus. Sie hat einen Jungen bekommen.« Sie wirkte unsicher. »Sagen Sie’s ihm einfach … er wird’s wissen wollen.« Und dann ging sie.

18
    Omar Anwar war zu Hause, saß in dem pfirsichfarbenen Wohnzimmer, hatte Angst und beobachtete den Regen, der gegen die Fensterscheibe prasselte, als draußen im Flur das Telefon klingelte, ein unvertrautes Trillern. Er hörte, wie die Tür von Billals Zimmer aufgerissen wurde und schwere Schritte den Flur durchquerten.
    »Omar! Verflucht, komm her!«
    Omar sprang auf und eilte in den Flur. Die Brüder standen abseits voneinander, starrten beide das fremde grüne Telefon an. Es war nicht ihr Telefon. Die Polizei hatte es ihnen gegeben. Es war alt und ein bisschen schmutzig, auf dem Gummikabel am Hörer lag eine graue Schicht, die man mit dem Fingernagel abkratzen konnte. Der Hörer war so laut eingestellt, dass man ihn vom Ohr weghalten musste. Wenn sie hineinsprachen, hörten sie das Echo ihrer eigenen Stimmen. Das Aufnahmegerät war ein Kassettenrekorder, der hinten angeschlossen war. Sie hatten etwas technisch Raffiniertes erwartet und kamen sich wegen der sehr schlichten Ausstattung nicht gut behandelt vor, als wollte sich die Polizei gar nicht wirklich um ihren Vater kümmern.
    Billal beugte sich abrupt vor, drückte den Aufnahmeknopf des Geräts, prüfte, ob es angesprungen war und hob den Hörer ab, hielt ihn sich vorsichtig ans Ohr, als hätte er nie zuvor ein Telefon benutzt und sei nicht ganz sicher, wie
man das macht. Er horchte einen Augenblick, nickte und reichte es mit gestrecktem Arm an Omar weiter, starrte das Mundstück an, als fürchtete er sich.
    Omar nahm den Hörer und lauschte.
    »Wer ist da?« Die Stimme war ihm vom Vorabend vertraut.
    »Hier ist äh, Omar. Wer ist da? Sind Sie der Mann von gestern Abend?«
    »Gib mir Bob.«
    Omar blickte ratlos auf das Aufnahmegerät. »Hier ist, äh, Omar.«
    »Wir haben Ihren Vater.«
    »Ja? Hören Sie zu, waren Sie selbst gestern Abend hier?«
    »Wir haben ihn. Wir wollen zwei Millionen, in gebrauchten Scheinen, und zwar noch heute.«
    »Ich weiß, Mann, gut, es gibt keinen Grund hier so weiterzumachen, okay? Wie geht’s meinem Dad, geht’s ihm gut?« Omar war überrascht, wie gesittet er sich benahm, wie höflich er mit dem Mann sprach, der seine Familie bedrohte, seine Schwester angeschossen und seinen Vater entführt hatte, aber Sadiqa hatte ihm Umgangsformen eingebläut und in Ermangelung anderer, der Situation angemessener Verhaltensregeln, stellte er fest, dass er einfach in seinen Standardmodus verfiel.
    »Hör zu, Alter, deinem Dad geht’s gut, wirklich gut. Mach dir keine Sorgen.« Auch der Kerl am anderen Ende der Leitung war höflich. Im Hintergrund hörte Omar einen Bus oder ein Auto vorbeifahren: Er rief also von der Straße aus an. »Geht es deiner Schwester gut?«
    »Meiner Schwester?«, fragte Omar.
    »Aleesha, die angeschossen wurde, geht’s ihr gut?«

    »Ihr geht’s gut, sie ist im Krankenhaus.«
    »Alles klar mit der Hand?«
    Verwirrt sah Omar auf und merkte, dass ihn Billal wütend anfunkelte und ihm schossen Tränen in die Augen. »Nein, Mann, ehrlich gesagt, die Hand ist total hinüber.« Er hielt inne, um Luft zu holen. »Sie hat den Daumen und den Zeigefinger verloren und auch ein bisschen was vom nächsten. Die haben gesagt, sie können ihr den großen Zeh als Daumen annähen. Mum meint aber, das würde komisch aussehen. Man braucht ein opponierendes Fingerglied, um die Hand richtig benutzen zu können, sonst kann man nicht greifen …?«
    »Ach, na gut, okay. Mach dir keine Sorgen.«
    »Aber es wird komisch aussehen.«
    »Hm … kann sie keine Handschuhe anziehen?«
    Omar betrachtete stirnrunzelnd das Telefon, das hatte sehr merkwürdig geklungen.
    »Vielleicht …«
    »Hübsche Handschuhe, meine ich,

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