In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Vorhang an einer langen Eisenstange. Groff zieht den Vorhang zurück, und sie betreten das eigentliche Atelier. Er hat anscheinend aus Gründen, die Peter nicht einmal annähernd entschlüsseln kann, beschlossen, dem Loft einen aberwitzig langen Eingang zu geben – eine Lobby, wenn man so will.Vielleicht ein Trick à la Zauberer von Oz, in erster Linie für Besucher wie Peter bestimmt – eine Warte-bis-du-siehst-was-hinterdem-Vorhang-ist-Taktik.
Hinter dem Vorhang ist das Atelier, ein primitiv zurechtgeschusterter, zimmerartiger Raum, etwa fünf Quadratmeter groß. Groff ist ordentlicher als manch andere. Er hat eine mit Haken bewehrte Wand aufgestellt, an der diverse Werkzeuge hängen, einige davon ganz reizvoll, eine Reihe von Drahtschabern, lange Holzkellen und ahlenartige Geräte mit Holzgriffen, alle zum Formen von Wachs und Ton bestimmt. Das Atelier ist mit dem Geruch von warmem Wachs erfüllt, was nicht nur angenehm ist, sondern seltsam tröstlich, als wäre es mit einer Kindheitserinnerung verbunden, auch wenn sich Peter nicht vorstellen kann, bei welchen kindlichen Betätigungen bei ihm heißes Wachs im Spiel gewesen sein könnte. Das erste Orakel von Delphi war eine Hütte aus Bienenwachs und Vogelschwingen – vielleicht ist es eine kollektive sinnliche Erinnerung.
Und hier, auf einem dickbeinigen gewerblichen Stahltisch: das Objekt. Eine knapp anderthalb Meter hohe Bronzevase, auf wunderschöne Art und Weise zu diesem besonderen grün-ockerfarbenen Bronzeton poliert, mit Fuß und Griffen, klassisch im Herzen, aber mit postmodernen Proportionen, die Basis kleiner und die großartig geschwungenen Griffe größer, als sie irgendein Künstler im fünften vorchristlichen Jahrhundert in Betracht gezogen hätte; dieser Hauch von Comichaftigkeit, von animalischer Ausgelassenheit, der das Stück nicht nur vor jedem Imitatvorwurf bewahrt, sondern auch vor jeder Assoziation an Urne oder Gruft.
Okay. Auf den ersten Blick besteht es die Kontextprüfung. Es hat Gewicht und Charisma. Obwohl Galerieleute nicht gern darüber reden, nicht einmal untereinander, ist das eins der Probleme, die sich ergeben können – die schlichte Tatsache, dass in einem gedämpften weißen Raum mit polierten Betonböden fast alles wie Kunst aussieht. Es gibt keinen Händler in New York oder anderswo, der diese Anrufe nicht schon in allerlei Variationen erhalten hat: in der Galerie geliebt, aber jetzt, im Wohnzimmer, wirkt es völlig fehl am Platz. Es gibt eine Standardantwort: Kunst ist heikel, was die Umgebung angeht, lassen Sie mich vorbeikommen, und wenn wir es nicht hinkriegen, nehme ich es natürlich zurück … Aber wirklich, oftmals ist es so, dass einem Stück, wenn es ins Wohnzimmer kommt, die Wirkung fehlt, um sich gegen den eigentlichen Raum zu behaupten, selbst wenn der Raum an sich scheußlich ist (wie es diese Zimmer häufig sind – die Reichen neigen dazu, ihr Gold und ihren Granit zu lieben, ihre grässlichen Polsterstoffe, die dreihundertvierzig Dollar pro Meter kosten). Die meisten von Peters Kollegen geben den Zimmern die Schuld, und Peter versteht es – die Zimmer sind oftmals nicht nur kitschig und überladen, sondern man spürt in ihnen auch den Eroberer, und das betreffende Gemälde oder die Skulptur kommt für gewöhnlich als letzte Beute hinein. Peter hingegen hat andere Vorstellungen. Er glaubt, dass man ein wahres Kunstwerk zwar besitzen, aber nicht erbeuten sollte, dass es eine solche Autorität ausstrahlen sollte, eine so bizarre, aber selbstbewusste Schönheit (oder Unschönheit), dass es selbst von den lachhaftesten Sofas oder Beistelltischen nicht um seine Wirkung gebracht werden kann. Ein wahres Kunstwerk sollte den Raum beherrschen, und die Kunden sollten nicht anrufen, um sich über die Kunst zu beklagen, sondern sagen, dass die Kunst ihnen geholfen hat zu verstehen, inwiefern das Zimmer ein schrecklicher Fehler ist, kann Peter einen Innenarchitekten vorschlagen, der ihnen dabei hilft, von vorne anzufangen?
Die Groff-Vase, das muss gesagt werden, wirkt wie ein Objekt, das für sich bestehen kann. Es hat die höchst vitale und am schwersten zu beschreibende Grundeigenschaft – Autorität. Man erkennt sie auf Anhieb. Bestimmte Stücke nehmen den Raum mit einer Durchsetzungskraft in Beschlag, die zwar etwas mit ihren erkennbaren, aufzählbaren Vorzügen zu tun hat, aber nicht davon abhängig ist. Das ist ein Teil des Geheimnisses, ein Grund dafür, warum wir sie so lieben (diejenigen von uns, die es
Weitere Kostenlose Bücher