In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Ness hin- und herbrausen und erkannte dahinter den weißen Schriftzug von Starbucks auf grünem Untergrund.
»Ja«, rutschte es mir schnell heraus. »Ja, alles in Ordnung. – Sorry«, fügte ich hastig hinzu und stolperte mit unsicheren Schritten über die Straße und auf den Bürgersteig hinauf. Der Motor des blauen Pick-ups heulte auf und mit quietschenden Reifen raste der Wagen an mir vorbei.
»Bisschen viel gefeiert, was?!«, rief mir der andere Autofahrer lachend nach, während er langsam Gas gab. »Schlaf dich erst mal aus! Und pass auf dich auf!«
Ich hatte ihm kaum zugehört; die Arme fest um mich geschlungen, stand ich mit zitternden Knien auf dem Gehweg und starrte vor mich hin. Während in mir die Ahnung heraufdämmerte, dass etwas mit mir ganz und gar nicht in Ordnung war.
68
Lange stand ich noch am Fenster, auch dann noch, als ich sie schon längst nicht mehr sehen konnte, und ein wenig kam es mir vor, als wäre etwas von ihr noch bei mir.
Erst viel später kehrte ich in die Halle zurück und schob und zog die blaugrüne Decke notdürftig wieder glatt, nachdem wir sie letzte Nacht vollkommen zerwühlt hatten. Diese gemeinsame Nacht, die mir als ein berauschender, ganz und gar unwirklicher Traum erschien und doch in mein sonst so lückenhaftes Gedächtnis eingebrannt war wie keine andere. Bäuchlings streckte ich mich auf dem weichen Stoff aus, drückte mein Gesicht hinein und stellte mir vor, ich hielte Amber noch immer in meinen Armen. Noch immer war ich eine verlorene Seele, noch immer ein Schattenwesen aus Nebel und Wind, aber ein Teil von mir fühlte sich ungleich lebendiger als zuvor. Als ob ein Echo meiner Empfindungen, ein Nachhall von Ambers Berührungen in mir Wurzeln geschlagen hätte und weiter austrieb.
In meinen Fingerspitzen begann es zu kribbeln, dann zu prickeln und zu stechen. Ein Glühen wanderte von dort herauf durch meine Hände und Arme und durch meinen ganzen Körper, wurde heißer und heißer. Es brannte, brannte wie Feuer, und ich keuchte auf. Als würde ich mit geschmolzenem Eisen ausgegossen, so fühlte es sich an; alles in mir war Feuer und Schmerz, unsäglicher Schmerz. Ich schrie und brüllte, während ich mich auf dem Boden wälzte und zusammenkrümmte. Während ich bat und bettelte, es solle aufhören, auf der Stelle aufhören, ohne dass ich wusste, an wen ich mein Flehen richtete und ob mich jemand hören konnte.
Weit, weit hinten in meinem Bewusstsein glomm für einen Augenblick die Hoffnung auf, dass diese Nacht mit Amber mich gerettet hatte. Dass ich gerade dabei war, durch dieses Höllentor auf die andere Seite hinüberzugehen. Dann verlosch Flamme um Flamme das Feuer in mir, klang der Schmerz ab und ließ mich schnaufend und bebend und kraftlos liegen.
Und voller Angst. Der entsetzlichen Angst, nun grausam gestraft zu werden, grausamer als ich es mir vielleicht vorstellen konnte.
Weil ich es gewagt hatte, meinem Schicksal mehr abzutrotzen, als mir vorherbestimmt gewesen war.
69
Ich stand oben auf einem Hügel, der zu meinen Füßen steil abfiel, und schaute hinunter auf die Stadt. Ihren Puls konnte ich hier oben fühlen, der schnell war und stolz, kräftig und ungeheuer lebendig und durchwoben vom Klappern der Pferdehufe und Räderknirschen, vom Rattern und Bimmeln der Cable Cars und der Straßenbahnen. Von den dröhnenden Motoren der ersten Automobile und ihren quäkenden Hupen, dem Schnaufen und Pfeifen der Dampfloks und den dröhnenden Hörnern der Dampfschiffe draußen im großen Hafen. Bezaubernd sah die Stadt aus dieser Perspektive aus, verspielt und beinahe gewichtslos, wie sich all die zierlichen, verschnörkelten Häuser bergauf und bergab entlang der akkurat quer und längs verlaufenden Straßen aneinanderreihten. Häuser, die fast kleine Schlösser waren, nüchterne, zweckmäßige Backsteinblöcke und die ersten Hochhäuser, die Vorboten einer neuen Ära. Dahinter erstreckte sich ein weites Feld aus flachen Dächern, das sich bis zu dem blauen Band ausdehnte, in dem sich die Wasser des Pazifiks und der Bay mischten. Und vor den braunen Hügeln am Horizont, rings um Alcatraz und um Angel Island war das Blau von den weißen Segeln der Mehrmaster hell getupft.
Fasziniert sah ich den Menschen zu, die an mir vorübergingen, den bärtigen Männern in den dunklen Anzügen, den Frauen in ihren leichten Kleidern mit der schmalen Taille und den ausladenden, mit Stoffblüten oder Federn geschmückten Hüten, für die ich alle komplett unsichtbar war. Ein
Weitere Kostenlose Bücher