In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
einer krummen Reihe von Holzhäuschen, so klein und schief zusammengezimmert, dass sie nicht mehr als einfache Hütten waren. Dahinter drängten sich weitere solche Häuschen aneinander, alle auf nacktem braunem Grund ohne das kleinste bisschen Grün; bei Regen verwandelte sich die Gegend sicher in eine einzige Schlammlandschaft. Die Tür eines der Häuschen flog auf und ein Junge in kurzer Hose und klobigen Schuhen rannte heraus. Zehn war er vielleicht, oder elf, und eine seiner Wangen glühte. Nathaniel! Im Türrahmen erschien eine Frau, das Gesicht unter dem simplen grau gesträhnten Haarknoten müde und verhärmt, aber auch zornesrot; über ihrem langärmligen Kleid trug sie eine schwarze Schürze, auf der einzelne weiße Fädchen hafteten. Wart nur, bis dein Vater nach Hause kommt! Dann kannst du was erleben! Der Junge rannte einfach weiter, mit fliegenden dunklen Locken, blitzenden grünen Augen und einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht. Auf Höhe der Brust war sein staubverschmiertes Hemd ausgebeult; er hielt darin etwas versteckt, das er fest an sich presste. Ich folgte ihm über den braunen, trockenen Boden zwischen den Häusern, bis zu einer Lücke zwischen zwei der schiefen Hauswände aus Holzlatten, in die er sich schnaufend quetschte und auf sein Hinterteil fallen ließ. Er wartete nicht erst, bis er wieder Atem geholt hatte, sondern zog gleich seine Beute aus dem Hemd hervor: einen halben Laib Brot, in den er gierig die Zähne schlug.
Es berührte mich, Nathaniel als kleinen Jungen zu sehen; irgendwie gefiel es mir, dass er ein solcher Frechdachs gewesen war, und ich gluckste in mich hinein.
»Das war kein bisschen lustig«, brummte Nathaniel, aber ich konnte förmlich hören, wie es dabei um seinen Mund zuckte. »Das Brot hätte das Abendessen für uns alle sein sollen und ich habe am Abend von meinem Vater tüchtig Prügel dafür bezogen.« Ernst klang er, als er hinzufügte: »Wir sind nicht verhungert, aber mir hat dennoch immer der Magen geknurrt. Es war einfach nie genug für uns alle da, obwohl Pa im Hafen schuftete und Ma mit Näharbeiten was dazuverdiente.«
Wie zum Trost schmiegte ich mich enger an ihn und blinzelte über seine Schulter hinweg in den Nebel hinein, bis mich das nächste Schwindelgefühl überfiel.
Ich stand im dämmrigen Licht eines Holzschuppens und schaute durch das weit geöffnete Tor hinaus. Vor dem Backsteinbau auf der linken Seite waren auf einem Steg über viele Meter hinweg Baumstämme aufgestapelt; rechts drängten sich Holzhäuser aneinander, die mich ein bisschen an das Szenenbild eines Westernfilms erinnerten, und neugierig trat ich vor das Tor.
Vor mir erstreckte sich ein Kai ins Wasser, an dem zu beiden Seiten große Dreimaster, kleinere Lastkähne und einfache Boote vertäut waren. Dahinter kreuzten auf den sanft gekräuselten Wellen weitere Segelschiffe und zwei Schaufelraddampfer, die aus ihren dünnen Schornsteinen Rauchfähnchen zum Himmel hinaufpusteten. Nach Qualm und Ruß roch es hier, nach feuchtem Eisen und frischer Farbe und ein bisschen nach Meer. Lastkarren standen bereit und Männer eilten geschäftig hin und her. Einer davon, bullig und rotgesichtig, ein Rest von blondem Flaum auf dem sonst kahlen Kopf und die Ärmel seines gestreiften Hemdes hochgekrempelt, marschierte energisch an mir vorbei.
O’Reilly! He, O’Reilly! Hast du Bohnen in den Ohren?! Ich wandte den Kopf, und mein Herz zuckte auf, als ich Nathaniel sah, der gerade einen prallvollen Sack von einem Lastkarren herunterhievte. Schnaufend setzte er ihn ab und fuhr sich mit dem Unterarm über die schweißnasse Stirn. Sorry, Sir. Sein Gesicht war noch jungenhaft weich, er konnte nicht viel älter als dreizehn oder vierzehn sein, wirkte aber schon stärker, erwachsener. Er trug nur eine lange Hose und feste Schuhe und arbeitete mit nacktem Oberkörper; unter seiner Haut zeichneten sich die starken Knochen und festen Muskeln ab. Wieso bist du da immer noch dran? Hinten wartet noch eine Fuhre auf dich, also beeil dich mal lieber, sonst zieh ich’s dir vom Lohn ab! Nathaniel biss die Zähne zusammen und quetschte ein kurzes Jawohl, Sir! dahinter hervor, bevor er in die Knie ging und den Sack schulterte. Keuchend und schwankend unter seiner Last stand er wieder auf und schleppte sie an mir vorbei in den Schuppen, ohne mich zu sehen. Und mit einem wehen Gefühl im Herzen sah ich, wie seine Knie schon vor Erschöpfung zitterten.
»Nathaniel O’Reilly«, flüsterte ich und streichelte
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