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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Rogan
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abhängen! Ich sage, wir setzen einen Kurs und machen uns daran, uns selbst zu retten!« Ich wurde von einer unbändigen Hoffnung erfüllt. Es war so einfach und so offensichtlich, dass ich mich fragte, warum nicht früher jemand auf die Idee gekommen war. Es war eine unwiderlegbare Tatsache, dass niemand uns gerettet hatte, und daher gab es doch auch keinen Grund mehr, in der Nähe der Stelle zu bleiben, wo das Schiff untergegangen war.
    »Natürlich!«, rief ich laut aus, und die anderen fielen in meine Begeisterung ein: »Gott hilft denen, die sich selbst helfen!« Dies war das Prinzip, nach dem ich lebte. Möglicherweise fanden einige Leute die praktische Umsetzung dieses Leitsatzes selbstsüchtig, als ob diejenigen, die danach handelten, die Religion für ihre Zwecke beugen würden, aber mir kamen Menschen, die sich nicht daran hielten, schwach und schmarotzerhaft vor. Als die Sonne durch den Nebel gedrungen war, hatte ich sie erst nicht sehen wollen. Ich hatte mich daran gewöhnt, Zuflucht in der Nacht zu suchen, im Unsichtbaren, in der Begrenztheit. Die kristallklaren Tage, an denen wir bis in die Unendlichkeit sehen konnten – zumindest bis zu dem Punkt, an dem sich die Welt nach unten bog und ins Nichts abfiel –, waren für mich ein Fluch, denn es gab nichts zu sehen. Aber jetzt hatten wir einen Plan, und der Anblick des Horizonts entzückte mich geradezu, denn er gab uns eine Richtung vor, ein Ziel: nach Westen!
    Gott hilft denen, die sich selbst helfen, sagte ich mir in Gedanken wieder und wieder, so wie ich es zu Felicity Close gesagt hatte, die zu mir kam und mit mir sprechen wollte. Sie war Henry eines Tages gefolgt und wusste daher, wo ich wohnte. Sie war gut gekleidet, aber nicht arrogant. Wir hätten Freundinnen sein können, wenn wir keine Rivalinnen gewesen wären. Ich sagte ihr, dass wir doch beide praktisch denkende Menschen seien und dass die Vernunft obsiegen müsse, aber die meiste Zeit hörte ich ihr nur zu. Sie sagte mir, dass Henry tief in Traditionen verwurzelt sei, Traditionen, die ich niemals verstehen könne, und sie fürchtete, dass er die Abkehr von diesen Traditionen bereuen würde, wenn er wieder zu sich gekommen sei. Sie sagte weiterhin: »Das sieht ihm so gar nicht ähnlich. Henry ist kein Mensch, der sich einer Leidenschaft oder überstürzten Entscheidungen hingibt.« Ich fragte mich, ob wir über denselben Mann sprachen. Als sie gesagt hatte, weswegen sie gekommen war, ging sie wieder. Und obwohl sie mir leidtat, war mir klar, dass ich Henry befreit hatte, sowohl von den Traditionen als auch von dem Korsett der emotionalen Zügelung, was jemandem wie der aufrechten Felicity niemals gelungen wäre. Diese Erkenntnis erlöste mich von dem letzten Rest an Schuldgefühlen.
    Mrs Grant hielt rund um die Uhr Wache. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Die Haare hatte sie streng aus dem Gesicht frisiert, und nicht einmal eine Woche in Wind und Wellen hatten den Knoten an ihrem Hinterkopf lösen können. Ihr Blick blieb ruhig angesichts der Leere ringsum. Ihr Gesicht wurde von der Sonne krebsrot verbrannt. Dann schälte sich die alte Haut und die neue darunter wurde dunkelbraun. Und immer noch blickte sie hinaus aufs Meer. Irgendwann kam mir ein Gedanke: Wenn jetzt ein Schiff nach all dieser Zeit am Horizont auftauchen würde, so wäre es ihr zu verdanken, denn sie hätte es gewiss allein mit ihrer Entschlossenheit und ihrer Willenskraft zu uns gerufen. Ich bemerkte die Wirkung, die sie auf die anderen hatte. Viele suchten Ausreden dafür, ihr nahe zu sein oder ihre Schulter berühren zu dürfen, während sie ihren Aufgaben nachging. Ich sah und verstand es, aber trotzdem war und blieb Hardie das Fundament meiner eigenen Stärke.
    Hardie glaubte nach wie vor, dass es klug sei, am Ort des Unglücks zu bleiben, von wo aus das Notsignal abgesetzt worden war und wo wir das Nebelhorn gehört hatten, aber Mrs Grant hatte mit ihren Worten die anderen nachhaltig beeindruckt, und als gegen Mittag der Wind wiederum drehte, machte sich Hardie daran, aus der Abdeckplane des Bootes ein Segel zu schneiden, das er mit Stoffstreifen, die er mit seinem Messer von einer Decke abgetrennt hatte, an zwei der Ruder band. Dann schnitt er einen Teil der Rettungsleine ab, die außen rings um das Boot verlief, und befestigte sie daraufhin so, dass er damit das Segel setzen und einholen konnte, je nach Windstärke und -richtung. Nachdem er den Mast aus Rudern in das Loch im Boden des Bootes gesteckt hatte, setzte

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