In einem Boot (German Edition)
er einen Kurs, an dem er keine Sekunde zu zweifeln schien. Für uns andere war der Horizont vor uns durch nichts von dem Horizont hinter oder neben uns zu unterscheiden. Trotzdem verlieh mir der Umstand, dass Mr Hardie einen Plan zu haben schien, neuen Mut. Seine Hände waren kaum je untätig, und wenn Mrs Grant die Verkörperung von stiller Stärke war, so war Hardie das Abbild kraftvoller Geschäftigkeit.
Die Ruderer zogen die Riemen ein, und es dauerte nicht lange, da schnitten wir so flink durchs Wasser, dass man glauben konnte, die Küste Amerikas würde jeden Moment vor uns auftauchen. Mit der langen Pinne, die am Steuer befestigt war, hielt Hardie das Boot, so gut er konnte, in den Wind. Die Luft rauschte uns vom Bug aus entgegen, und das unruhige Wasser kam uns viel härter und aggressiver vor als bisher. Durch den Wind im Segel neigte sich das Boot zu einer Seite, und wir mussten die Schräge mit unserem Gewicht ausgleichen. Das bedeutete, dass wir ständig wachsam sein mussten, und es wurde für uns zu einer Art Wettstreit zwischen dem Wasser und uns, wem sich das Boot zuneigen würde, ein Wettstreit, der von unserer Seite erbittert ausgefochten wurde, weil eine Niederlage bedeutet hätte, dass das Boot voll Wasser gelaufen und gekentert wäre.
Rebecca, die nach ihrem unfreiwilligen Bad im Ozean Fieber und Schüttelfrost bekommen hatte, blickte sich mit leeren, glasigen Augen um. Irgendwann richtete sie ihren Blick auf Mr Hardie und schrie: »Vater! Vater! Der kleine Hund ist auf die Straße gelaufen!« Mrs Grant gab sich alle Mühe, sie zu beruhigen, und Hannah sagte zu ihr: »Hier ist kein Hund, Rebecca. Du siehst etwas, was schon lange der Vergangenheit angehört«, aber ihre Worte regten Rebecca nur noch mehr auf. »Du hast ihn nie gemocht, stimmt’s?«, sagte sie. »Du hast ihn nur wegen Mutter für den kleinen Hans gekauft.«
Obwohl diese Kommentare an ihn gerichtet waren, reagierte Hardie nicht auf ihre Worte, sondern konzentrierte sich auf die mannigfaltigen Aufgaben, die er sich auferlegt hatte und die keiner von uns ausführen konnte, weil niemand eine Ahnung davon hatte. Schließlich zog Mrs Grant einen Stofffetzen aus dem Beutel, der vor ihr stand, wickelte ihn zu einem Knäuel und legte ihn Rebecca mit den Worten in die Hände: »Er ist in Sicherheit, Liebes. Dein kleiner Hund ist in Sicherheit.« Rebecca wiegte sich auf dem Boden des Bootes kauernd vor und zurück, ohne das knöchelhoch stehende Wasser zu beachten, und streichelte den ganzen Nachmittag lang ihren Lumpenhund.
Der Wind wurde immer stärker, und bereits nach kurzer Zeit sauste das Boot mit hoher Geschwindigkeit durch das Wasser. Diejenigen von uns, die zum Schöpfen abkommandiert waren, hatten alle Hände voll zu tun, aber trotzdem stieg das Wasser im Boot stetig und rasch an. Ich hatte die Vermutung, dass das Boot leckgeschlagen war. Als ich mit Schöpfen dran war, suchte ich die Planken in meiner Nähe nach irgendetwas ab, das wie ein Loch aussah. Irgendwann merkte ich, dass ich in das Wasser starrte, das meine Knöchel umspülte. Es war, als wäre ich plötzlich aus einem tiefen Schlaf erwacht. Ich weiß nicht, wie lange ich ins Nichts geblickt hatte, aber als ich »aufwachte«, wurde ich einer allumfassenden körperlichen Erschöpfung gewahr. Meine Augen verloren ihr Ziel aus dem Blick, meine Ohren vernahmen nur noch unzusammenhängende Fetzen der gemurmelten Gespräche ringsum. So hörte ich zum Beispiel klar und deutlich Hannah sagen: »Da geht irgendetwas vor zwischen Hardie und diesem Blake. Womöglich könnten wir schon längst in Sicherheit sein.« Aber von Mrs Grants Erwiderung hörte ich nur ihre letzten Worte: »… nichts vom Segeln … warten ab.«
Als Hardie das Segel reffte und sagte: »Der Wind ist zu stark. Und das Boot hat zu viel Wasser aufgenommen, um ordentlich segeln zu können«, da widersprach nicht einmal Mrs Grant, denn sofort glitt das Boot wieder ruhiger dahin, und der beständige Wasserstrom, der sich über den Rand ergoss, schwächte sich zu einem gelegentlichen Sprühen ab. Hardies Entscheidung kam gerade noch rechtzeitig, denn das Wasser reichte mir nun schon bis zur Mitte der Schienbeine. Ich legte mich ins Zeug und schöpfte unermüdlich, aber die Schwäche umnebelte sowohl meinen Geist wie auch meine Glieder. Und das war der Moment, als Hardie etwas sagte. Er sagte es leise, glaube ich, obwohl ich irgendwie den Eindruck habe, dass die anderen ihn auch hörten, was aber bedeuten würde,
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