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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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ich gar nicht, warum ich hier bin.»
    «Schön, Sie zu sehen», sagte sie.
    «Oh», sagte er. «Gut.» Zum ersten Mal schien er unsicher, wie er fortfahren sollte.
    «Ehrlich, die Kälte scheint Ihnen ganz schön in den Knochen zu stecken», sagte Grace.
    «Glauben Sie, dass … Er hielt abrupt inne. «Hören Sie, wollen wir nicht irgendwo anders hingehen?»
    Grace nickte, schloss die Wagentüren auf und fuhr zu ihrer Wohnung, da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Tug zog seine Jacke aus, nahm den Drink, den Grace ihm anbot, und setzte sich auf das Sofa. Er sah sich weder um, noch machte er Anstalten, Small Talk zu betreiben. Sie nahm neben ihm Platz, wobei sie seine Nähe so intensiv wie nie zuvor spürte. Er trug ein Hemd und einen Pullovermit V-Ausschnitt, und sie sah, dass die Blessuren an seinem Hals komplett verheilt waren.
    «Und, wie geht es Ihnen heute?», fragte sie.
    Er nippte an seinem Weinglas. «Besser.»
    «Ihre ganze Situation – irgendwie verwirrt mich das alles ein bisschen, Tug.»
    Er lächelte, als er seinen Namen hörte. «Wär’s Ihnen lieber, Sie hätten mich damals auf dem Berg einfach nicht beachtet?»
    «Nein.»
    Er nickte zögernd. «Irgendwie ist Ihnen das alles egal, oder? Was ich getan habe. Was ich um ein Haar getan hätte.»
    «Natürlich ist es mir nicht egal», sagte sie. «Und es entmutigt mich auch nicht.»
    Seine Lippen waren dunkelrosa verfärbt, fast rot, und sie fragte sich, ob sie aufgesprungen oder rissig von der Kälte waren. Aber das waren sie nicht. Weich waren sie, wie sie im selben Moment feststellte, als er sie plötzlich küsste. Völlig perplex legte sie die Hand auf seinen Arm, fühlte den Wollpullover unter ihren Fingern – es ist wirklich wahr, sagte sie sich, ich berühre ihn. Er legte ihr den anderen Arm um die Taille, und dann lag ihr Bein über den seinen. Sie hörte auf, ihn zu küssen, da ihr vor Verlangen beinahe übel war.
    «Alles in Ordnung?», flüsterte er ihr ins Ohr.
    «Lass uns aufhören.»
    «Okay.» Er lehnte sich zurück und sah sie an.
    Sie holte tief Luft, versuchte sich zu sammeln. Ihre Nerven vibrierten wie zu straff gespannte Saiten. Es war lange her, dass sie mit jemandem zusammen gewesen war.
    «Soll ich gehen?», fragte er. «Du kannst es ruhig sagen.»
    «Nein.»
    «Nein was? Du kannst es nicht sagen, oder soll ich nicht gehen?»
    «Das weißt du schon», sagte Grace. Sie ging in die Küche, trank einen Schluck Wasser und kehrte dann zurück ins Wohnzimmer, zudiesem Menschen, den sie kaum kannte, diesem dunklen, schwierigen Mann, und küsste ihn. Manche Dinge waren einfach zu intensiv, um sie langsam anzugehen.

    Hinterher zogen sie sich an. Alles war sehr schnell gegangen – hektisch, keuchend und ein wenig unbeholfen –, und als es vorüber war, fühlten sie sich immer noch wie Fremde. Tug lümmelte auf dem Sofa, wirkte ein bisschen schläfrig. Grace fühlte sich immer noch ziemlich durch den Wind, fiebrig, und ihre Wangen brannten von seinem Dreitagebart. Sie schenkte ihnen Wein nach und fragte sich, worauf sie sich da eingelassen hatte. Wäre sie ihre eigene Patientin gewesen, hätte sie sich geraten, dem Ganzen so schnell wie möglich ein Ende zu machen. Stattdessen zog sie die Beine unter sich und betrachtete ihn. Sie wollte nicht, dass er ging.
    «Und?», sagte sie. «Wie geht’s dir jetzt?»
    Er musste lachen und stellte sein Glas ab; zum ersten Mal seit einiger Zeit hatte sie das Gefühl, etwas erreicht zu haben.
    «Grace», sagte er. «Müssen wir jetzt reden?»
    Tatsächlich konnte sie sich nicht vorstellen, was sie sonst tun sollten.
    Tug schien ihre Verwirrung zu spüren, da er sacht neben sich auf das Sofa klopfte. Seltsamerweise empfand sie die Geste als herablassend, rutschte aber zu ihm, legte den Kopf an seine Schulter und wartete darauf, dass er etwas sagte. Dann drang ein leises Pfeifen an ihre Ohren. Er schnarchte.
    Den Kopf an der Sofalehne, war er eingeschlafen und hatte sie einfach so sitzen lassen. Sie schmiegte sich an ihn, und sein Arm schloss sich enger um sie. Es war unbequem, doch sie wollte ihn nicht stören, da er immer so müde und niedergeschlagen aussah;nach zehn Minuten aber war ihr rechtes Bein eingeschlafen, und ihre Nase juckte wie verrückt. Tugs leises und zischendes Schnarchen hörte sich an wie ein entfernter Zug. Vorsichtig streckte sie ihr Bein aus, um ihn nicht zu wecken. Im selben Moment bewegte er sich, riss den Kopf abrupt nach vorn und schlug sie mit der Hand, die eben noch

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