In einer anderen Welt (German Edition)
du sie auch wirklich brauchst«, sagte sie. Wie sollte jemand, der so festgezurrt ist wie ich, sie nicht brauchen? Ich nehme sie, aber sie helfen kaum.
Ich schlafe äußerst schlecht, träume komisches Zeug und wache dauernd auf, wegen der Schmerzen oder weil im Krankensaal irgendwo Unruhe herrscht. Die Schlaftabletten, die sie mir aufdrängen, lassen mich einschlafen, aber sie wirken nicht lange.
Montag, 14. Januar 1980
Letzte Nacht oder ganz früh heute Morgen hat meine Mutter wieder einen ihrer nächtlichen Angriffe auf mich unternommen. Ich bin aufgewacht und konnte mich nicht bewegen, und da wusste ich, dass sie hier war, dass sie über mir schwebte. Im Krankensaal ist es nie dunkel – in der Schwesternstation brennt immer Licht, in den Boden sind kleine Lämpchen eingelassen, und irgendwo weiter hinten hatte jemand seine Leselampe an. Also hätte ich sie eigentlich sehen müssen, aber ich sah sie nicht, sondern spürte nur, dass sie da war. Ich hatte solche Schmerzen, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was mir beim letzten Mal geholfen hat, und das war natürlich die Litanei gegen die Furcht gewesen, also sagte ich sie auf, und sie half wieder. Nachdem ich mich beruhigt und meine Selbstbeherrschung zurückgewonnen hatte, konnte ich mich wieder bewegen, und dann war sie fort.
Woher wusste sie, dass ich hier bin und mich nicht wehren kann? Warum hat mein Schutzzauber nicht gewirkt? Eigentlich dürfte es keine Rolle spielen, wo ich mich befinde.
Heute Morgen kam Dr. Abdul vorbei, das erste Mal, seit er mich letzten Donnerstag in diese Vorrichtung gespannt hat. Er hat an meinem Bein herumgedrückt, bis ich aufgeschrien habe, und gesagt, ich wäre auf dem Weg der Besserung. Dann hat er sich dem nächsten Patienten zugewandt. Ich finde nicht unbedingt, dass ich auf dem Weg der Besserung bin. Es fühlt sich eher so an, als würde alles nur noch schlimmer.
Na ja, vielleicht fühlt es sich so an und hilft mir trotzdem. Schließlich ist er Arzt. Man muss einen ziemlich guten Schulabschluss haben, wenn man Arzt werden will. (Was für einen Schulabschluss sie wohl in Pakistan haben? Möglicherweise den gleichen wie bei uns, schließlich waren sie mal britisch und gehörten noch zu Britisch-Indien, als Opas Großmutter von dort weggegangen ist. Aber taugt der Schulabschluss dort wirklich etwas? Nasreen weiß das bestimmt, ihr Vater kommt ja von da.) Jedenfalls muss Dr. Abdul auch in Pakistan ziemlich gut in der Schule gewesen sein, sonst hätten sie ihn bestimmt nicht genommen. Er muss klug und fleißig gewesen sein und gewusst haben, was er tat. Er würde bestimmt niemanden an einer solchen Vorrichtung festschnallen, wenn er sich nichts davon verspräche.
Warum hilft die Litanei gegen die Furcht?
Während der abendlichen Besuchszeit kam Miss Carroll vorbei und hat mir Bücher gebracht, und zwar ein paar Krimis von Josephine Tey, auf die ich sogar richtig Lust habe, und Taschenbücher sind es auch. Sie hat gesagt, dass sie mich in der Bibliothek vermisst, und in der Schule hätten sie für mich gebetet.
Dienstag, 15. Januar 1980
Noch immer auf der Folterbank. Fühle mich ziemlich niedergeschlagen.
Ich verpasse den Buchclub, und weil ich weiß, das alle dort sein werden und Miss Carroll gestern hier war, weiß ich auch, dass mich niemand besuchen kommt.
Opa und Tantchen Teg wissen nicht einmal, dass ich hier bin, sonst hätten sie mir wenigstens eine Karte geschickt. Woher hat es dann meine Mutter erfahren? Hier gibt es keine Magie. Und auch keine Feen – überhaupt nichts. Und ich dachte, die Schule wäre bar jeder Magie, aber im Vergleich mit diesem grässlichen Krankensaal ist das gar nichts.
Mit den Tey-Büchern bin ich durch. Der Erbe von Latchetts gefällt mir besonders gut. Aber was hat es mit der Grube in Dothan auf sich? Ist das aus der Josephsnovelle?
Nur noch ein Tag auf der Folterbank. Langsam frage ich mich, ob Sadisten einen guten Schulabschluss machen können, aber wenn Dr. Abdul ein Sadist wäre, würde er öfter vorbeikommen und sich an meinem Anblick weiden. In Wirklichkeit bin ich ihm völlig gleichgültig. Er hat mir nicht einmal ins Gesicht geschaut und auch kaum einen Blick auf mein Bein geworfen. Ihn interessieren nur die Röntgenbilder. Aber vielleicht ist das ja auch gut. Nur weil er einen guten Schulabschluss hat, soll ich ihm blind vertrauen?
Mittwoch, 16. Januar 1980
Sie lassen mich erst hier raus, wenn Dr. Abdul mich untersucht hat,
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