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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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vielleicht kann ich ihn ja überzeugen mitzukommen. Das würde ihm bestimmt Spaß machen.«
    »Wer ist Daniel?«, fragte Wim und rutschte ein Stück von mir weg. »Dein Freund?«
    »Mein Vater«, sagte ich. »Er liest SF. Am Sonntag hat er Greg und Janine und Pete getroffen, und wir haben uns die ganze Zeit über Bücher unterhalten. So eine Convention würde ihm bestimmt gefallen.« Allerdings war ich mir nicht so sicher, ob seine Schwestern ihn gehen lassen würden. Das würde ihnen überhaupt nicht passen, wenn er etwas unternahm, wobei sie ihn nicht beaufsichtigen konnten. Dass ihre nette Nichte nach Glasgow wollte, würde ihnen wahrscheinlich ebenso gegen den Strich gehen. Ich würde darauf achten müssen, dass sie mir nicht in die Quere kamen.
    »Du hast wirklich Glück«, sagte Wim zu meiner Überraschung.
    »Glück? Wieso das?« Ich musste blinzeln. Für gewöhnlich finde ich nicht, dass ich viel Glück habe, selbst wenn mein Bein nicht auf eine Folterbank gespannt ist.
    »Dass du einen reichen Vater hast, der SF liest. Meiner hält das für kindisch. Als ich zwölf war, fand er es okay, aber er ist der Meinung, dass Lesen grundsätzlich etwas für Weicheier ist, von diesem Kinderkram ganz zu schweigen. Jedes Mal, wenn er mich beim Lesen erwischt, brüllt er mich an. Meine Mutter liest manchmal ›nette Liebesromane‹, wie sie es ausdrückt, Catherine Cookson und so was, aber nur, wenn er nicht zu Hause ist. In unserem Haus gibt es keine Bücher. Ich würde alles dafür geben, Eltern zu haben, die lesen.«
    »Ich habe Daniel diesen Sommer erst kennengelernt«, sagte ich. »Meine Eltern sind geschieden, und ich hab den größten Teil meiner Kindheit bei meinen Großeltern verbracht. Sie hatten kein Geld, aber gelesen haben sie, und sie haben mich auch dazu ermutigt. Und Daniel ist eigentlich auch nicht reich. Seine Schwestern haben das große Geld, und sie geben ihm etwas davon ab, halten ihn aber an der kurzen Leine. Sie bezahlen auch dafür, dass ich nach Arlinghurst gehe, vor allem, um mich aus dem Haus zu haben. Ich weiß nicht, ob sie ihm genügend Geld geben, damit wir nach Glasgow gehen können, weil sie das vielleicht gar nicht wollen. Aber mich lassen sie vielleicht dorthin gehen.«
    »Wo ist deine Mutter?« Es war eine völlig unschuldige Frage, aber er stellte sie so beiläufig, dass sie wie einstudiert wirkte.
    »Sie lebt in Südwales. Sie ist ...« Ich zögerte, weil ich weder sagen wollte, dass sie eine Hexe war, noch dass sie verrückt war, obwohl beides zutrifft. Es gibt kein Wort, das beides umfasst. Merkwürdig. »Sie ist geistesgestört.«
    »Den Mädchen in der Schule hast du erzählt, sie wäre eine Hexe«, sagte Wim und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
    »Woher weißt du das?«
    »Meine Freundin arbeitet in der Wäscherei, und sie hat mir davon erzählt.«
    Mein Herz setzte einen Schlag aus. Seine Freundin? Er war zwei Jahre älter als ich, also war er bestimmt nicht an mir interessiert, und das wusste ich auch, obwohl er mich besuchen gekommen war und mir ziemlich viel Aufmerksamkeit schenkte. Als er seine Freundin erwähnt hatte, war mir sofort das Mädchen eingefallen, das vor den Ferien erschöpft Schuluniformen in die Waschmaschine gestopft hatte. Andererseits war es erstaunlich, dass er sie überhaupt nach mir gefragt hatte.
    »Sollen sie mich hassen, solange sie mich nur fürchten«, zitierte ich. »Das hat Tiberius ...«
    »Ich habe Ich, Claudius gelesen«, sagte er. »Du hast den Mädchen erzählt, deine Mutter sei eine Hexe, damit sie Angst vor dir haben?«
    »Die sind alle wirklich ganz schön fies«, erklärte ich. »Sie kennen sich schon lange, und ich kannte niemanden, und ich rede auch nicht so wie sie, und da fand ich, das ist eine gute Strategie. Größtenteils hat es auch funktioniert, auch wenn ich mir manchmal recht einsam vorkomme.«
    »Also ist sie gar keine Hexe?« Er klang merkwürdig enttäuscht.
    »Na ja – eigentlich schon. Eine verrückte Hexe. Eine böse Hexe, wie in den Märchen.« Ich wollte nicht über sie sprechen, ich wollte ihm nicht von ihr erzählen. Was sowieso ziemlich schwer ist.
    Er beugte sich vor und sah mir in die Augen. Seine Augen waren sehr, sehr blau, fast so blau wie der Himmel. »Kannst du Gedanken lesen?«
    »Was?« Ich war völlig baff.
    »Du weißt schon, wie in Es stirbt in mir .« Er blieb, wo er war, nur Zentimeter von mir entfernt, und blinzelte nicht ein einziges Mal. Es ist ein Wunder, dass ich nicht erstickt bin, so sehr

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