In einer anderen Welt (German Edition)
den Fall, nicht nur rückwärts, sondern auch verkehrt herum. Das Notizbuch ist verschließbar. Ich bin froh, dass ich in Spiegelschrift schreiben kann, indem ich einfach die linke Hand benutze. So viel, wie ich übe, bin ich fast so schnell wie mit der rechten Hand.
Also.
Gestern Abend, nachdem ich mit Schreiben fertig war, habe ich noch ein bisschen gelesen ( Die Welt der Ptavv , Niven) und dann das Licht ausgemacht. Ich bin eingeschlafen, aber später kam er , mein Vater – ich sollte wirklich Daniel zu ihm sagen, so heißt er schließlich, und Sam sagt das auch – Daniel kam herein, schaltete das Licht an und weckte mich. Er war betrunken. Er weinte. Er versuchte, zu mir ins Bett zu steigen und mich zu küssen, und ich musste ihn wegstoßen.
Ich weiß, dass ich gesagt habe, ich würde Sex positiv gegenüberstehen, aber ...
In gewisser Hinsicht ist es nett, begehrt zu werden. Streicheln ist nett. Na ja, und Sex auch – in der Schule gibt es keinerlei Privatsphäre, aber gestern Abend hatte ich die Gelegenheit dazu. (Wie lange dauert es? Masturbieren dauert fünf Minuten, höchstens zehn. In den Büchern steht nie, wie lange. Bron und die Spike haben es stundenlang miteinander getrieben, aber das war exhibitionistischer Sex.) Und ich weiß aus dem Roman Die Leben des Lazarus Long , der in dieser Hinsicht sehr eindeutig ist, dass Inzest nicht an und für sich falsch ist – schließlich habe ich nicht das Gefühl, dass wir derselben Familie angehören. Mit Opa könnte ich mir das ganz bestimmt nicht vorstellen, igitt! Igitt!!!
Aber bei Daniel wäre nur die Blutsverwandtschaft das Problem, denn letztlich sind wir einander völlig fremd. Dafür gibt es schließlich Empfängnisverhütung, und darauf würde ich sowieso bestehen. Ich bin erst fünfzehn! Und es ist illegal, glaube ich jedenfalls – deswegen will ich nicht ins Gefängnis gehen. Aber offenbar wollte er mich, und wer sonst wird mich schon wollen, kaputt, wie ich bin? Ich möchte nicht sittlich verwahrlost sein, aber wahrscheinlich bin ich das bereits. Jedenfalls habe ich nein gesagt, ohne darüber nachzudenken, denn er war betrunken und ekelhaft. Ich habe ihn weggeschubst, und er hat im anderen Bett geschlafen und dabei laut geschnarcht, und ich lag da und musste an Heinlein denken und an die Sturgeon-Story in Dangerous Visions , »Wenn alle Menschen Brüder wären, würdest du einen davon deine Schwester heiraten lassen?« Großartiger Titel.
Heute Morgen hat er so getan, als wäre nichts passiert. Wir warfen einander wieder verstohlene Blicke zu und aßen am Frühstücksbuffet labbrigen Schinken und kaltes Spiegelei. Er hat mir das Geld für die Zugfahrkarte gegeben und zehn Pfund für Bücher. Selbst wenn ich einen Teil davon für Essen und den Bus ausgebe, müsste ich mir damit noch mindestens zehn Bücher kaufen können. Bei Geld ist er irgendwie komisch: Manchmal tut er so, als hätte er keins, und dann ist er wieder äußerst freigiebig. Am Samstag muss ich nach Shrewsbury zurückfahren, denn nächsten Sonntagabend muss ich wieder in der Schule sein. Aber damit bleibt mir eine Woche, eine ganze Woche! Er wird mich in Shrewsbury am Bahnhof abholen. Und Tantchen Teg holt mich heute am Bahnhof von Cardiff ab. Ich habe sie von Paddington aus angerufen. Bis dahin bin ich zwischen ... zwischen allem, zwischen den Welten, esse KitKat und schreibe das hier. Ich mag Züge.
Montag, 29. Oktober 1979
Die Herbstferien stimmen hier nicht mit denen in Arlinghurst überein, hier hatten alle letzte Woche frei. Typisch. Also muss Tantchen Teg unterrichten, und meine ganzen Freunde sind in der Schule. Ich bin gestern Abend hier eingetroffen, habe ein Stück selbstgebackenen Käsekuchen gegessen und bin sofort nach dem Abendessen eingeschlafen.
Heute bin ich nach Cardiff reingefahren und habe Bücher gekauft. Das tolle an Lears ist, dass sie amerikanische Ausgaben haben. Chapter and Verse ist auch ziemlich klasse, und ich gehe oft dorthin, aber sie importieren nicht. Dann gibt es da noch eine Reihe von Secondhand-Buchläden. Einen in den Schloss-Arkaden, einen an der Hayes und einen neben dem Kasino, der im Hinterzimmer Pornos hat. Ich glaube, ich bin die Einzige, die jemals Bücher aus dem Vorderraum kauft. Sie glotzen mich dort immer wütend an, als wollte ich in ihr dämliches Hinterzimmer gehen und ihre dämlichen Pornos kaufen. Vielleicht wollen sie die Bücher vorne ja gar nicht verkaufen, weil sie dann für Nachschub sorgen müssen? Für zehn Pence
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