In einer anderen Welt (German Edition)
Feen, ich wollte einfach nur dort sein. Aber die Feen waren trotzdem da. Glorfindel und die anderen. Sie warteten auf mich.
Ich würde gerne erzählen, dass wir uns unterhalten haben wie die Elben bei Tolkien. »Seit Langem schon haben wir dich vermisst, werte Mori, seit Langem suchen wir dich unter den Bäumen und in den Palästen. Aus einem fernen Land haben wir gehört, dass du noch auf der Welt weilst, getrennt von deinem Zwilling, und so warteten wir voller Hoffnung, bis der Wind uns heute die Nachricht brachte, dass du zu uns kommst. Sei uns willkommen, denn wir leiden große Not.«
Aber so war es nicht. Manchmal spielten Mor und ich eine Unterhaltung mit den Feen nach, und dabei sagte ich dann, was sie in einer solchen Sprache hätten sagen sollen. Im Wesentlichen hat Glorfindel auch genau das gesagt, jedenfalls meinte er das, nur fasste er das meiste nicht in Worte, und wenn, dann sprach er Walisisch.
Glorfindel ist wunderschön. Er sieht aus wie ein junger Mann, vielleicht neunzehn oder zwanzig Jahre alt, mit dunklem Haar und grauen Augen. Er trägt einen Mantel aus Blättern, der ihn wie einen Schleier umweht, nur dass es in Wirklichkeit kein Mantel ist. Schließlich kann er ihn nicht ausziehen.
Die Feen sind sehr weise. Jedenfalls wissen sie eine Menge. Sie haben viel erlebt. Sie wissen besser als irgendwer sonst, wie Magie funktioniert. Deshalb wäre es auch eine solche Katastrophe gewesen, wenn meine Mutter Macht über sie erlangt hätte. Sie hätte das ganze Wissen nur missbraucht. Die Feen hätten ihr nichts entgegenzusetzen gehabt. Was für Auswirkungen das auf die reale Welt gehabt hätte, weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass sie eine dunkle Königin geworden wäre, nicht wie in den Geschichten. Aber auch wenn sie das nicht noch einmal versuchen kann, irgendetwas heckt sie aus. Ich hätte es wissen müssen.
Glorfindel möchte, dass ich morgen durch Ithilien hinauf zu Minos’ Labyrinth gehe, wo, wie er sagt, die Toten wandeln werden. Morgen ist Halloween! Er sagt, dass ich Eichenlaub mitnehmen und für sie ein Portal erschaffen muss, durch das sie hindurchgehen können. Das wird meine Mutter daran hindern, sie in ihre Klauen zu kriegen. Feen wissen viel, aber sie können nicht viel tun, sie können kaum beeinflussen, was auf der Welt geschieht. Deshalb müssen sie andere Leute dazu bringen, es für sie zu tun, und die Wahl ist auf mich gefallen. Wenn ich Glorfindel glauben kann, hat er sein Möglichstes getan, damit ich diese Woche hierherkomme. Er wusste nicht, wo ich bin, bis ich mit der Fee gesprochen habe, und er konnte nichts bewirken, bis ich die Briefe verbrannt habe. Aber dann hat er es so eingerichtet, dass ich hierherkomme. (Er hat den Stundenplan abgeändert? Den Stundenplan aller Schulen? Er hat dafür gesorgt, dass Daniel mich fahren ließ? Er hat mir den Wunsch eingegeben, heute in den Kar zu gehen? Manchmal hasse ich Magie.)
Er behauptet, es wäre einfach, nicht wie beim letzten Mal. Ohne jedes Risiko. Problematisch ist, dass ich bei Einbruch der Dämmerung dort sein muss. Erst dachte ich, das wird wirklich schwierig, aber als ich Tantchen Teg angelogen habe, dass ich mich mit Moira von der Mittelschule zum Tee treffen möchte, hat sie gesagt, sie würde mich um sieben abholen und mit mir ins Fedw Hir fahren, um den armen Opa zu besuchen.
Gerade lese ich Das Zauberschwert von Marion Zimmer Bradley, was mir bisher wirklich Spaß macht.
Mittwoch, 31. Oktober 1979
Es war knapp, aber nicht so, wie ich erwartet hatte.
Erst einmal war es ein laaaanger Fußmarsch. Und keine Fee weit und breit. Schmerzen sind ihnen zuwider, warum, weiß ich nicht, aber es ist mir bewusst, seit ich sie kenne. Selbst ein aufgeschürftes Knie oder ein verdrehter Knöchel schlägt sie in die Flucht. Die Schmerzen, die mir bei jedem Schritt durchs Bein fuhren, sorgten bestimmt dafür, dass sich im Umkreis von mehreren Kilometern keine Fee aufhielt. Nur gut, dass ich frühzeitig aufgebrochen bin, damit die Schmerzen nachlassen konnten, wenn ich erst einmal dort war.
Das Labyrinth von König Minos befindet sich ganz oben in den Bergen von Craig, eine der höchstgelegenen Ruinen dort. Früher war das ein Hüttenwerk, eines der ältesten überhaupt, und eine Grube, wo Eisenerz abgebaut wurde, keine tiefe, nur ein Kratzer, der größtenteils aufgefüllt ist. Was davon übrig ist, sieht auf jeden Fall wie ein Labyrinth aus. Man muss sich zwischen den Mauern hindurchschlängeln, und obwohl keine davon mehr
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