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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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das auch. Als wir reinkamen, lag er halb unter seinen Decken verborgen, und wahrscheinlich hat er ein Nickerchen gemacht, aber er sah so klein und mitleiderregend aus, kaum lebendig, überhaupt nicht wie Opa.
    Ich habe ihm davon erzählt, wie er uns das Tennisspielen beigebracht hat – damals sind wir in die Brecon Beacons raufgefahren und haben dort auf dem unebenen Boden gespielt, und hinterher war es auf ebenem Boden dann ganz leicht. Ich kann mich noch an die Lerchen erinnern, die hoch über uns ihr Lied sangen, und an das Farnkraut und die komischen Schilfbüschel, die wir »Bambussprossen« nannten. (Eigentlich ist das kein Bambus, nicht im Entferntesten, aber wir hatten einen Plüschpanda, und da haben wir eben so getan, und er hat es gegessen.) Opa war immer stolz darauf, wie schnell wir rennen und wie gut wir Bälle fangen konnten. Natürlich hatte er sich einen Jungen gewünscht. Wir wollten bestimmt keine Jungen sein, aber Jungen haben eben viel mehr Spaß. Und Tennis spielen machte Spaß.
    Ich musste daran denken, dass das alles umsonst gewesen ist, die ganze Zeit, die wir da oben trainiert haben, denn Mor ist tot, und ich kann nicht rennen und Opa genauso wenig, jedenfalls nicht mehr. Nur dass es doch nicht umsonst war, weil wir uns daran erinnern. Die Dinge müssen es wert sein, dass man sie um ihrer selbst willen tut, nicht nur als Training für irgendetwas in der Zukunft. Ich werde nie in Wimbledon gewinnen oder bei einer Olympiade antreten (»In Wimbledon sind noch nie Zwillinge angetreten ...«, hat er immer gesagt), aber das hätte ich sowieso nicht getan. Ich werde nicht einmal mehr aus Spaß mit Freunden Tennis spielen, aber das heißt nicht, dass es vergeudete Zeit war, Tennis zu spielen, als ich es noch konnte. Wenn ich nur mehr getan hätte, als ich dazu noch in der Lage war. Wenn ich nur bei jeder Gelegenheit überallhin gerannt wäre, in die Bibliothek, durch das Kar, die Treppe hinauf. Na ja, die Treppe sind wir ja meistens raufgerannt. Daran denke ich, während ich mich die Treppe zu Tantchen Tegs Wohnung hochschleppe. Leute, die die Treppe hochrennen können, sollten sie hochrennen. Und zwar als Erste, damit ich ihnen nachhinken kann, ohne das Gefühl zu haben, ich halte sie auf.
    Wir haben dann noch Tantchen Olwen einen Besuch abgestattet, und hinterher Onkel Gus und Tantchen Flossie. Tantchen Flossie hat mir einen Büchergutschein geschenkt und Onkel Gus einen Pfundschein. Ich habe Onkel Gus nicht verziehen, was er gesagt hat, aber ich habe das Geld genommen und mich bedankt. Ich habe es in meine Handtasche gesteckt, als Notgroschen. Tantchen Flossie hat einen wirklich bequemen Ohrensessel. Die anderen Stühle und Sessel dagegen haben mir einige Schwierigkeiten bereitet. Ich weiß nicht, warum sie so niedrig sein müssen. Bibliotheksstühle sind immer genau richtig.

Sonntag, 30. Dezember 1979
    Meinem Bein geht es besser, Gott sei Dank. Es geht ihm sogar so gut, dass so eine Wichtigtuerin mich am Busbahnhof gefragt hat, wozu ich in meinem Alter einen Gehstock brauche. »Ich hatte einen Autounfall«, sagte ich, was normalerweise genügt, aber nicht bei dieser Frau.
    »Du solltest versuchen, ohne auszukommen. Es ist doch offensichtlich, dass du ihn nicht brauchst«, sagte sie.
    Ich bin einfach weitergelaufen und habe sie ignoriert, aber ich zitterte. Manchmal entsteht vielleicht der Eindruck, ich bräuchte meinen Stock nicht, wenn der Boden völlig eben ist, aber wenn ich stehen bleibe, muss ich mich aufstützen, und ich weiß von einer Minute auf die nächste nie, ob es mir so geht wie heute, oder so wie gestern, als ich mein Bein fast gar nicht belasten konnte.
    »Schau doch, wie schnell du laufen kannst – du brauchst den Stock überhaupt nicht«, rief sie mir nach.
    Ich blieb stehen und drehte mich um, wobei ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Der Busbahnhof war voller Menschen. »Niemand tut so, als wäre er ein Krüppel! Niemand benutzt einen Stock, wenn er ihn nicht braucht! Sie sollten sich schämen, so etwas zu denken. Wenn ich ohne gehen könnte, würde ich ihn auf Ihrem Rücken mittendurch brechen und vor Freude singend davonlaufen. Sie haben kein Recht, so mit mir zu reden, mit niemandem. Hat Sie irgendwer zur Königin gemacht, als ich mal nicht aufgepasst habe? Wie kommen Sie darauf, ich könnte mit einem Stock aus dem Haus gehen, wenn ich ihn nicht brauche – damit Sie Mitleid mit mir haben? Ihr Mitleid können Sie sich schenken, das will ich ganz bestimmt

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