In einer Familie
die luxuriöse
Ausschmückung eines Raumes bereits im einzelnen
angeordnet, über dessen praktische Bestimmung er
sich durchaus noch nicht klar war. Seine beiden Kin-
der ließen ihn in den meisten Fällen gern gewähren.
Es war ihnen beiden ein süßes Gefühl, sich bei jeder
Gelegenheit sagen zu lassen: »Das da ist etwas sehr
Passendes für euch.« Es hatte etwas davon, als wür-
den sie durch ein Paradies geführt, das Gott für sie
geschaffen; sie fanden alles fertig vor, und alles war
für sie.
Auch waren sie damit einverstanden, als Herr v.
Grubeck ihnen eines Tages einen Besuch der Gemäl-
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deausstellung – es war eine soeben eröffnete Aqua-
rell- und Pastellausstellung – vorschlug, da doch die
Auswahl einiger Bilder unumgänglich nötig sei.
Dann war es wie immer, so auch hier staunenswert,
wie rasch und mühelos sich das Auge eines jeden in
der Menge der ausgestellten Kunstwerke zurecht-
fand, um nach flüchtigem Vorbeigleiten an dem mei-
sten eben auf dem haften zu bleiben, was den eigen-
tümlichen Bedürfnissen der Seele entsprach. So war
nach einem kurzen Rundgang durch die verschiede-
nen Räume Wellkamp an den Eingang des Haupt-
saales zurückgekehrt, wo er sich in ein Gemälde Ga-
briel Max’ vertiefte, dessen vergeistigte und doch so
sinnlich wirksame Art in der blassen und zarten
Ausführung des Pastells in erhöhtem Maße zur Gel-
tung gelangte.
Inzwischen verweilte Anna vor einigen italieni-
schen Aquarellen, Scenerien vom Canalo grande
oder vom genuesischen Golfe. Über den bunten und
heiteren Farben schien die geheime Melancholie des
bloß vegetierenden Lebens zu liegen, indes nur wie
ein ungewisser Duft und jedenfalls mehr gefühlt als
gesehen. Dann wurden beide junge Leute von dem
Major an den Platz geholt, den er eingenommen
hatte, »um seine Studien zu machen«, wie er sagte.
Es waren die Dessins von Illustrationen der »Flie-
genden Blätter«, und auch die beiden andern mußten
die feine und anmutige Koketterie dieser Tusch- und
Federzeichnungen bewundern. Der Major behaup-
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tete, nirgends für seine eigene Kunstübung so viel
lernen zu können, wie an diesen scheinbar leicht hin-
geworfenen Skizzen, die für ihn technische Offenba-
rungen enthielten. Wellkamp und Anna gingen leb-
haft interessiert auf die Bemerkungen des alten
Herrn ein, auch erwähnten sie sodann die Stücke der
Ausstellung, welche sie selbst besonders gefesselt.
Aber weder er noch sie ließen sich näher über die Art
des Genusses, den sie ihnen gewährt, aus. Anna
mochte wohl zu der Zahl der feiner gebildeten Be-
schauer gehören, denen es widerstrebt, ihre Empfin-
dungen vor einem Kunstwerke in die dem großen
Publikum geläufigen Urteile und Ausrufe zu klei-
den, während ihnen zugleich der echte und per-
sönliche Ausdruck dafür versagt ist. Wellkamp sei-
nerseits hätte sich niemals entschließen können, die
tiefen seelischen Erregungen, welche ihm zuweilen
ein Kunstgenuß verschaffte, durch eine Aussprache,
zumal in den Augenblicken wo er sie empfing, preis-
zugeben. Er hätte dies als eine Entweihung angese-
hen, so sehr hatte er sich, trotz seines abnutzenden
äußeren und inneren Entwicklungsganges – oder
aber gerade wegen desselben – in dieser Hinsicht
eine empfindliche seelische Keuschheit bewahrt.
Man mußte schließlich, da die Zeit des Diners ge-
kommen war, aufbrechen. Während der Major von
seinen Lieblingen Abschied nahm, hatte Wellkamp,
der sich bereits zum gehen gewandt, unweit jener
Skizzen, die ihn bisher von dem übrigen Inhalt des
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Saales abgehalten, ein Bild entdeckt, das im gleichen
Augenblicke seine volle Aufmerksamkeit in An-
spruch nahm. Dies geschah sogar in der Weise, daß
er mit unwillkürlich weiter geöffneten Augen und
mit einer seltsamen Spannung seines Empfindens,
welche sich nach und nach zu einem förmlichen
Grauen steigerte, an das Gemälde herantrat. Diese
Wirkung konnte wohl durch den absonderlichen
Stoff, welcher hier behandelt war, hervorgebracht
werden, sie war es aber sicherlich noch weit mehr
durch die das in jenem vorhandene Unheimliche
noch steigernde Auffassung des Künstlers. Vor einer
elenden Bauernkate, deren schmutzig braune Um-
risse kaum durch den dichten, alles einhüllenden
Nebel hindurchdrangen, stand ein Weib, das mit
einer Miene namenlosen Entsetzens vor sich in die
dicke graubraune Luft hineinstarrte. In derselben
zeigte ihr »das zweite Gesicht« die
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