In einer Familie
charakteristischen Duftes,
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den so viele aneinandergedrängte Frauenkörper und
ihre Toiletten, die parfümierten Barte der Herren
und ihre an den Rock gehefteten Blumen ausatme-
ten.
»Diese laxe Moral«, bemerkte Anna, draußen in
der frischen Luft aufatmend, »braucht man wirklich
nicht mehr von der Bühne zu predigen. Sie ist ohne-
dies üblich genug.«
»Wie meinst Du? Ich muß sagen, daß ich mich
schrecklich gelangweilt habe. Mir war die Wohlan-
ständigkeit etwas zu groß für ein Stück, das keinen
tieferen Reiz besitzt.«
Die Oper besuchten sie selten. Anna verstand es
wenig, Musik zu genießen. Sie kannte durchaus
nichts von der Hingabe an eine Phantasie und Emp-
findung anregende und auch wohl aufreizende Mu-
sik. So konnte ihr die Mehrzahl der in Opern ge-
hörten Vokal- und Orchesterkompositionen nichts
sagen. Doch fand sie Geschmack an einer gewissen
schwereren Gattung von Konzertmusik; vor allem
liebte sie Beethoven. Die Art ihres Musikgenusses
bestand vorzugsweise darin, die Tonreihen zu ver-
folgen, ihre Wiederkehr und ihre Abstufung, gleich-
sam ihre Logik zu studieren, wodurch auch hier wie-
der ihr Vergnügen ein mehr geistiges wurde, als man
im allgemeinen aus der Musik zu schöpfen pflegt.
Im ganzen war die Art, wie die junge Frau sich zu
Leben und Tod stel te, sicherlich sehr verständig und
hatte hier und da selbst einen leisen Beigeschmack
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von Trockenheit. Durch diese ihre Art wurde auch
das Verhältnis zu ihrem Gatten mit bestimmt. In ih-
rer ruhigen, liebevol en Hingabe an ihn, die sich vom
ersten Tage an gleich geblieben, war wenig von dem
mehr nervösen Verständnis für leisere und unmerk-
lichere Augenblicksempfindungen enthalten, denen
er seinerseits so leicht zugänglich war.
Gelegentlich teilte er sie ihr indes mit. Auf ihren
häufigen Spaziergängen im Tiergarten waren sie
einmal stehen geblieben, um den Schlittschuhläu-
fern zuzusehen. Sie verfolgten mit den Blicken das
flinke, gleitende Durcheinander der graziösen Ge-
stalten und kleidsamen Sporttrachten und das La-
chen auf all den frisch geröteten Gesichtern. Das
Bild, in die dünne, klare Winterluft gestellt und in
der blendenden Eisfläche gespiegelt, war fast zu
scharf für die Augen, die den Atemhauch, der um
alle Köpfe wehte, als eine wohlthuende Milderung
empfanden.
Wellkamp deutete auf die schneebeladenen Bü-
sche und Bäume ringsumher.
»Die Sonne bricht durch«, sagte er. »Sieh, wie sie
auf den Zweigen ganz denselben spitzen, kurzen
Glanz hervorbringt wie dort auf den Säbelscheiden
der Offiziere.«
»Wirklich!« stimmte Anna bei.
»Sie macht alles nur noch kälter. Aber wenn man
in all die Kälte mit unsern Augen hineinsieht – mir
wird innerlich nur noch wärmer. Was meinst Du?
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Zwei Herzen vermögen eine ganze Landschaft zu
erwärmen.«
Er hatte die Hand, die Anna unter seinen Arm ge-
schoben, in die seine genommen. Die junge Frau sah
bei dieser Berührung auf mit einem Blick, in dem
dieselben warmen Schauer erzitterten, wie in dem
Ton seiner Worte. Sie gingen, für beide fühlbar, aus
seinem Körper in den ihren hinüber.
Wellkamps Liebe hatte während des Berliner Auf-
enthaltes den Zusatz einer Sentimentalität erhalten,
die ihm ehemals unter al en Umständen fremd gewe-
sen war. Diese Erscheinung mochte zum Teil an den
Umständen des jetzigen Verhältnisses liegen, die von
denen seiner früheren, flüchtigen Abenteuer so völ-
lig verschieden waren. Das Gefühl von jetzt konnte
seiner Natur nach nichts von jenem übermütigen
oder leidenschaftlichen, immer aber gedankenlosen
Für-den-Augenblick-leben haben. Jedenfalls mußte
dies bald hinter die ruhigeren, auf die Zukunft be-
dachtsamen Bestandteile der ehelichen Empfindun-
gen zurücktreten. Aber es trug zu jener neuen Rege-
lung ebensosehr etwas anderes bei, das von außen
her auf den zunächst durch die Art ihrer Beziehun-
gen gestimmten Seelenzustand einwirkte. Es lag in
der Luft und war kaum näher zu erklären denn als
die Verlockung zu einer weicheren, mehr schwärme-
rischen Hingabe, die sich dann am ehesten einstel te,
wenn das geräuschvolle, gefühllose und auch wohl
brutale Straßenleben sie am heftigsten umbrandete.
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Es war die seltsame Sentimentalität der Großstadt-
liebe, in welcher so viel von einer süßen Melancholie
des Fremd- und Alleinseins liegt. Wie sehr fühlte
man sich mit den sanften Geheimnissen seiner Seele
verschieden
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