In einer Familie
was jedes von
ihnen sagen will.
Der Wagen stand vor der Thüre, und der Major
mahnte zum Aufbruch. Er geleitete seine beiden
Kinder zur Bahn.
Dora blickte dem eleganten Gefährt nach, das
lautlos über eine ganz leichte, al ererste Schneedecke
rollte. Sie stand, das Spitzentuch in ihrer blassen
Hand ein wenig zusammengedrückt, am Fenster.
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V
Für die Übergangszeit, welche die Reise des jungen
Paares bildete, war keine bestimmte Dauer in Aus-
sicht genommen, jedenfalls mußte sie aber verlän-
gert werden, bis Herr und Frau Wellkamp ihre neue,
inzwischen unter Oberaufsicht des Majors her-
zurichtende Wohnung beziehen konnten. Von dem
gemächlichen Umherwandern, an welches Anna ge-
dacht, hatte man in Anbetracht der ungünstigen Jah-
reszeit am Ende doch Abstand genommen und auf
Herrn v. Grubecks Vorschlag einen Aufenthalt in
Berlin beschlossen. Besonders Wellkamp hatte die-
sen Plan schnell erfaßt. Die nächste Großstadt er-
schien ihm das rechte, und in ihrem lautesten und
fremdesten Trubel das Leben für zwei Zusammen-
gehörige am ungestörtesten. Und wie viele wech-
selnde Eindrücke würden sie sich nicht mitzuteilen
haben in diesem Berliner Treiben, dem jeder von
ihnen, da er es nicht zum erstenmal sah, seine be-
sonderen Neigungen und Neugierden entgegen-
brachte. Für Anna, die ihre ganze Kindheit hier ver-
lebt, war es eine wehmütiglockende Aussicht, an den
bekannten Plätzen das Andenken ihrer Mutter her-
vorzurufen, gleichsam der Erinnerung an ihre Kin-
derfreuden, die dort für sie in der Luft lag, nun ihr
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Frauenglück vorzuführen – und beide in einem zu
genießen.
Wellkamp brachte im Gegenteil der Stadt, die für
ihn vor allem der Schauplatz eines starken Leides
war, eine Art von Trotz entgegen. Jeder Ort, den er
berührt, mochte er ihn im übrigen bisweilen nahezu
vergessen haben, pflegte ihm ein deutliches Anden-
ken an die Stimmung zu hinterlassen, mit welcher er
an ihm verweilt, so daß er ihn am Ende nur noch
durch den Schleier solcher persönlichen Erinnerung
sah. So wurde ihm sein jetziger froher und hoff-
nungsreicher Einzug in Berlin gleichsam zu einem
Triumph über die traurigen Erfahrungen, die er hier
während seines letzten Aufenthaltes durchlebt.
Um so inniger ergriff ihn gerade jetzt der Zauber
von Annas Herzensreife, die stets durch die häufig
so jugendlich einseitigen Äußerungen ihres Verstan-
des hindurch fühlbar wurde. Er betrachtete es als ein
Glück, keiner ganz naiven Frau das großstädtische
Treiben erläutern zu müssen. Es vermehrte ihre In-
timität noch um das Gefühl wohliger Kamerad-
schaft, wenn er die Sicherheit bemerkte, mit der sie
sich in der fremden, nicht mehr gewohnten Umge-
bung bewegte. Sie brachte allem Neuen ihre ruhige,
in ihrer Selbstsicherheit wurzelnde Urteilskraft ent-
gegen. Sie empfing weniger leicht und weniger fein
unterschiedene geistige Eindrücke als er, aber sie
durchlebte das einmal Aufgenommene gründlicher
und bewahrte es besser. Ihre Betrachtungsweise war,
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ohne darum innerlich teilnahmslos und fischblütig
zu sein, immer weniger auf das Bildliche, Sinnenfäl-
lige einer Sache als auf ihren Ideengehalt gerichtet.
Dies zeigte sich besonders im Theater, wo sie mit
Vorliebe ihre Abende verbrachten. Verrät sich doch
hier, ganz wie auf der Bühne das Leben zusammen-
gezogen und in eine starke Essenz verarbeitet er-
scheint, auch im Zuschauerraum so viel rascher und
stärker als anderswo die Verschiedenheit der Anla-
gen; der Bildung und des Geschmacks. Sie verriet
sich etwa im Zwischenakte eines lustigen Pariser
Stückes, während des ungewissen, summenden Ge-
räusches, das aus dem Plaudern und Lachen des
ganzen Saales, aus dem Klappen der Sessel, dem
Schließen der Logenthüren, dem Gehen und Kom-
men zusammengesetzt war. Eine kleine nachlässige
Bemerkung, über den Fächer hinweg und das Glas
auf die gegenüberliegende Loge gerichtet, zeigte sie.
»Sehr unterhaltend«, sagte Wellkamp. »Ein Feuer-
werk von guten Worten. Aber ist es nicht doch etwas
zu frivol? Man muß nicht egoistisch sein; ich be-
dauere vielleicht doch, Dich hergeführt zu haben.«
»Aber nein«, erwiderte die junge Frau eifrig; »die
Frage, die zu Grunde liegt, interessiert mich aufrich-
tig. Das hat ja viel größere Bedeutung als man
meint.«
Ein anderes Mal war es, als man sich zum Ausgang
den engen Wandelgang entlang schob, inmitten des
hin- und herwehenden
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