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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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von dem seelenlosen und harten Ge-
    triebe ringsumher, und wie ganz nur auf einander
    angewiesen!
    Wellkamp sollte später oft einer Stunde gedenken,
    in welcher er von dieser Stimmung besonders stark
    und vol ständig eingenommen war. Es war an jenem
    Dezember-Nachmittag eine stille, sonnig-milde
    Luft, so daß sie für ein paar Minuten auf den schma-
    len Balkon des Café Bauer hinaustraten. Sie waren
    seit einigen Augenblicken schweigsam geworden.
    Nur wie ein unendlicher Schwärm summender und
    schwärmender Insekten stieg von unten das Ge-
    räusch der Stimmen und des Lachens, der Pferde-
    hufe, der knirschenden Räder zu ihnen hinauf. Es
    war so seltsam ineinander gesponnen und besänftigt
    unter den weichen Schleiern, die die Träumerei dar-
    überdeckte. Wie gewöhnlich, waren indes Annas
    Sinne die ersten, die sich wieder schärften. Sich wie
    aus Gedanken aufrichtend, erklärte sie, halb unbe-
    wußt, die Stimmung des Augenblicks durch einen
    Hinweis auf ihre Einsamkeit inmitten des sich drän-
    genden Lebens.
    »Wenn wir nun Papa bei uns hätten. Er würde sich
    gewiß freuen, Berlin gerade jetzt wiederzusehen,
    nun er wieder glücklicher ist als bislang.«
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    Auf ihre Worte folgte wieder ein kurzes Schwei-
    gen, während dessen jedes von ihnen fühlte, daß es
    das natürliche gewesen wäre, auch Frau v. Grubecks
    zu gedenken. Anna vermied dies überhaupt so viel
    als es anging; sie liebte es, sich unangenehmer Erin-
    nerungen und Gedanken möglichst zu entschlagen.
    Wellkamp seinerseits war durch eine vage Verlegen-
    heit daran verhindert, auszusprechen, woran er
    dachte. Sie hatten zu verschiedenen Malen bei
    gleichgiltigen Anlässen und in ganz unbefangener
    Weise Doras Erwähnung gethan. Heute war es das
    erste Mal, daß ihr Name zwischen ihnen absichtlich
    ungenannt blieb. Das Bewußtsein von etwas Unaus-
    gesprochenem, das solange in der scheinbar gren-
    zenlosen Intimität dieser ersten Wochen ihrer Ehe
    untergegangen und nun wieder aufgetaucht war,
    wuchs in Wellkamp während weniger Sekunden ra-
    pid an und verdoppelte seine Befangenheit. Er rich-
    tete den Blick gespannt, um zu erfahren, ob sie seine
    Gedanken erriete, auf Anna, die den ihrigen auf das
    Straßenbild gesenkt hielt. Dann schauerte sie ein we-
    nig zusammen, als empfände sie erst jetzt die frische
    Luft. Wellkamp richtete sich vom Geländer, gegen
    das er sich leicht gestützt, auf, und während sie in
    den Saal zurücktraten, suchte er ein belangloses Ge-
    spräch anzuknüpfen.
    Auf rätselhafte Weise hatte so der unruhige und
    zweifellose Zustand wieder begonnen, der für Well-
    kamp schon der letzten Zeit vor der Hochzeit einen
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    Teil ihres Duftes und ihres Reizes genommen.
    Hatte nicht gerade die große Aufrichtigkeit und
    Schleierlosigkeit ihres Verhältnisses das Glück die-
    ser ersten Berliner Wochen ausgemacht? Dieses
    konnte sich noch für einzelne Stunden einfinden,
    und zumal in der Vereinigung ihrer Liebe war es
    mit ihnen und hatte ein Vergessen alles Störenden
    mitgebracht. Aber allzu häufig fühlte er von nun an
    wieder einen an sich ganz bedeutungslosen Gedan-
    ken an Dora oder etwas mit ihr im Zusammenhang
    befindliches wie ein verbotenes Geheimnis auf sich
    lasten.
    Etwas anderes machte bald seinen Zustand noch
    schwieriger. Nachdem der Bann des glücklichen Ver-
    gessens einmal gebrochen war, konnten auch die
    durch ihn unterdrückten schmerzlichen Erinnerun-
    gen, die Wellkamp mit Berlin verbanden, zur Gel-
    tung gelangen. Es geschah dies derart, daß sich in
    seiner Vorstellung zeitweilig die beiden ihn wie Ne-
    belbilder beunruhigenden Figuren gleichsam inein-
    ander schoben. Wenn er, was sich ihm häufig unwi-
    derstehlich aufzwang, Frau v. Grubeck, in einer Un-
    terhaltung begriffen, sich selbst gegenübersah, so
    kam es vor, daß die Einrichtung des Gemaches der
    seiner ehemaligen Berliner Geliebten glich. Dann
    bemerkte er wohl an Doras Toilette Einzelheiten,
    deren er sich genau von der Andern her erinnerte.
    Auch waren die Stimmen zuweilen vertauscht, und
    er hörte deutlich den wohlbekannten, mit seiner
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    Frechheit wehrlos machenden Ton, der ihn damals
    in der Abschiedsstunde begleitet, nunmehr aus Do-
    ras Munde.
    Seine nervösen Vorstellungen dieser Art erreich-
    ten einen Grad, wo er, mit Anna durch die Straßen
    schlendernd, fortwährend eine Begegnung mit der
    früheren Geliebten gewärtigte. Manchmal sah er sie
    im Gedränge vor sich auftauchen; dann war sie wie-
    der verschwunden,

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