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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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oder diejenige, die er für sie ge-
    halten, war ihm in der Nähe völ ig fremd. Einmal er-
    kannte er mit einer zweifellosen Sicherheit, die ihn
    abwechselnd heiß und kalt werden ließ, das wohlbe-
    kannte Gesicht, in dem jeder Zug für ihn ein Leid
    und eine Leidenschaft bedeutete. Die Dame blieb in
    geringer Entfernung vor einem Schaufenster stehen.
    Wellkamp vermochte ein erregtes »Ah!« nicht zu
    unterdrücken und berührte zugleich mit einer hefti-
    gen Bewegung den Arm seiner Gattin. Als er ihren
    ruhig verwunderten Blick auf sich gerichtet fühlte,
    setzte er mit möglichster Beherrschung seiner Erre-
    gung eine erklärende Bemerkung hinzu:
    »Eine merkwürdige Ähnlichkeit –.«
    Anna sah der Richtung seiner Augen nach.
    »Ach ja!« sagte sie dann mit leichter Ungeduld in
    der Stimme. Hierdurch aufs neue betroffen, be-
    trachtete Wellkamp im Vorübergehen noch einmal
    gespannt aufmerksam das Profil der Fremden, um
    jetzt zu finden, daß es nicht dem der Berlinerin,
    sondern den Zügen Doras glich. Dies mußte in der
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    That eine wirklich vorhandene Ähnlichkeit sein;
    auch Annas Zustimmung schien darauf hinzudeu-
    ten. Er war überrascht und erschreckt; wie war es
    möglich, daß er diese beiden Gesichter nicht mehr
    aus einander zu halten vermochte. Im selben
    Augenblick ward er von der fieberhaften Unruhe er-
    faßt, seine Frau den Zusammenhang nicht merken
    lassen. Um unzweifelhaft zu machen, daß er nur an
    Frau v. Grumbeck erinnert worden sei, und zugleich
    seine dabei verratene Erregung zu vertuschen, ließ
    er sich verleiten, die ungeschickteste Äußerung zu
    thun, die er in diesem Augenblick hätte finden kön-
    nen.
    »Sie hat eben ein Gesicht, das man öfter sieht«,
    sagte er. »Das Deine wiederholt sich nicht so leicht.«
    Als er an der unwilligen Bewegung, mit welcher
    sie ihre Hand aus seinem Arm halb zurückzog, die
    Wirkung seiner Phrase wahrnahm, fuhr er, auf un-
    persönliches Gebiet überleitend, hastig fort zu spre-
    chen.
    »Mit Ähnlichkeiten ist es seltsam; man begegnet,
    scheint mir, den meisten auf der Straße, und ich
    glaube bemerkt zu haben, daß das am Gange liegt.
    Er trägt überraschend viel dazu bei, zwei Menschen
    einander ähnlich zu machen. Und außerdem – hast
    Du nicht auch beobachtet, daß, was Ähnlichkeiten
    betrifft, Gang und Gesichtsausdruck – nicht die ein-
    zelnen Züge natürlich – eng zusammengehören? Wo
    der Gang der gleiche war, habe ich meist auch Ähn-
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    lichkeit der Miene und des Charakters gefunden –
    häufig auch der Sprache, nicht gerade in der Klang-
    farbe des Tones, aber im Tonfall und Ausdruck.«
    Anna erwiderte auf seine Worte, die er, unter ih-
    rem Schweigen einigermaßen verlegen, zu Ende ge-
    sprochen, kaum mit einer flüchtigen Zustimmung.
    Sie blieb während des Restes der Promenade ver-
    stummt, und als Wel kamp einmal ihren Blick suchte,
    fand er nur die tiefe Falte, zu der sich ihre vollen
    Brauen zusammenzogen. Auch während des Diners
    und später beschränkte sich das Gespräch auf wort-
    karge und erzwungene Bemerkungen. Es war das er-
    ste Mal, daß ein Mißverständnis zwischen die Gatten
    getreten war, und diese erste Spannung der ehelichen
    Beziehungen pflegt ja so viel schmerzhafter empfun-
    den zu werden, als selbst die weit schwereren unter
    den späteren. Wie damals vor der Hochzeit stand
    Wellkamp nun ratlos vor der vermeintlichen Eifer-
    sucht Annas, die er zu verdienen leugnete, während
    er sich dennoch bewußt war, sie erregt zu haben.
    Und wie damals täuschte er sich über die ihm in ihrer
    Schlichtheit rätselhafte Empfindungsweise seiner
    Gattin. Für ein reines Vertrauen wie das ihre hatte in
    der Scene dieses Morgens nichts Falsches mitgespielt
    als jenes in der Verlegenheit von Wellkamp gespro-
    chene entschuldigende Wort. Anna gehörte zu der
    nicht überwiegenden Zahl der Frauen, welche eine
    ungeschickte und gewollte Schmeichelei gleich einer
    Beleidigung empfinden.
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    Sie trug an dieser bis zum Abend, wo sie mit ih-
    rem Instinkt der Aufrichtigkeit eine Aussprache
    herbeiführte, die noch einmal alles zum Frieden bei-
    zulegen vermochte. In der Freude, den Anlaß ihrer
    augenblicklichen Entfremdung sich als so harmlos
    herausstellen zu sehen, vergaß der bewegliche Well-
    kamp alsbald den tieferen Grund seiner Beunruhi-
    gung. Auch blieb die kurze Störung ihres Glückes
    während des Restes ihres Berliner Aufenthaltes ver-
    gessen. Während dieser unvergleichlichen, nur zu
    kurzen Wochen

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