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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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fand leicht
    eine seinen Wünschen dienende Antwort, wobei in
    diesem Falle seine vielseitige Betrachtungsweise
    durch eine nicht unbeträchtliche Belesenheit unter-
    stützt ward. So kam ihm im Augenblick fast wört-
    lich eine Stelle eines seiner Lieblingsbücher, der
    Wahlverwandtschaften, ins Gedächtnis.
    »Wenn Dein Entschluß«, so wiederholte er inner-
    lich, »so fest und unveränderlich ist, so hüte Dich
    nur vor der Gefahr des Wiedersehens. In der Ent-
    fernung von dem geliebten Gegenstande scheinen
    wir, je lebhafter unsere Neigung ist, desto mehr
    Herr von uns selbst zu werden, indem wir die ganze
    Gewalt der Leidenschaft, wie sie sich nach außen er-
    streckte, nach innen wenden. Aber wie bald, wie ge-
    schwind sind wir aus diesem Irrtum gerissen, wenn
    dasjenige, was wir entbehren zu können glaubten,
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    auf einmal wieder als unentbehrlich vor unsern
    Augen steht!«
    Es wäre also, folgerte Wellkamp, vor allem eine
    unwiderrufliche Trennung nötig, die ohne starke

Auffälligkeit und vielleicht Verdacht nicht zu errei-
    chen war. Und wäre sie möglich, welches Mittel gab
    es sodann gegen die Leidenschaft, die nicht anders
    können würde als wachsen, in demselben Maße wie
    in der Entfernung ihr Gegenstand von seiner Phan-
    tasie gereinigt und idealer werden würde. Wie mußte
    die Leidenschaft, deren ganze Gewalt sich »nach in-
    nen« wenden würde, sein Verhältnis zu Anna gestal-
    ten? Es würde langsam und nie ausgesprochen, aber
    unvermeidlich in gänzlicher Entfremdung enden.
    Dies Schlimmste aber ließ sich vielleicht, ja sicher,
    abwenden, wenn er den Dingen ihren notwendigen
    Lauf ließ. Es würde dann so oder so zu einer befrei-
    enden Aussprache zwischen seiner Gattin und ihm
    kommen. Damit würde zugleich gewonnen sein, daß
    Anna einen tieferen Einblick in seine Natur erhielte,
    eine Bedingung, deren Fehlen ja ihm selbst ehedem
    als ein Hindernis für eine dauernde Befestigung ih-
    res Verhältnisses erschienen war.
    Wie leicht wir eine solche Scheinlogik erfinden
    in Lagen, wo unsere Leidenschaft bereits vorweg
    die Entscheidung gesprochen hat! Wellkamp hatte
    niemals das Bewußtsein, diesem seinem Gedanken-
    gange, darin er eine Aussprache mit Anna als wün-
    schenswert bezeichnete, geradwegs entgegenzuhan-
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    deln, wenn er zu gleicher Zeit begann, seiner Gattin
    gegenüber weit ängstlicher als früher seine Bewe-
    gungen zu überwachen, seine Miene wie seine Worte
    zu überlegen, und vor allem in seinem ganzen Be-
    nehmen auch den leisesten Zusammenhang mit Frau
    von Grubeck gleichsam schweigend abzuleugnen.
    Gleichwohl war auch diese Wendung, die er ihrem
    Verkehr gab, nur zu natürlich. Wie regelmäßig in der
    Entwickelung von Verhältnissen dieser Art, wuchs
    in dem Maße, wie der innere Entscheidungskampf
    jedes einzelnen der beiden Schuldigen ermattete, die
    Heftigkeit desjenigen, den sie gemeinsam gegen die
    Gegner in der Außenwelt zu führen hatten, gegen
    die Gläubiger, die sie schädigen, denen sie sich selbst
    entziehen mußten, um sich einander darzubringen.
    Die Gereiztheit, in welcher Wellkamp in diesen,
    wie ihm schien, unruhigsten Wochen seines Daseins
    lebte, wurde vor allem auch dadurch hervorgerufen,
    daß es für ihn galt, eine Gelegenheit zu dem Schritte
    abzuwarten, zu dem al es in ihm als zu einer Lebens-
    notwendigkeit drängte. Denn ihn zu beschleunigen,
    war er immer noch nicht im stande, ebensowohl von
    der allgemeinen Unentschlossenheit seiner Natur
    zurückgehalten, wie von einer tief in seinen Instink-
    ten begründeten Mutlosigkeit gegenüber den er-
    schwerenden familiären Verhältnissen, wie sie hier
    vorlagen. Da gleichwohl die Begierde, mit der ge-
    liebten Frau auf irgendwelche Weise in Berührung
    zu kommen, überhandnahm, geschah es nunmehr
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    zuweilen, daß er in ihrer Abwesenheit und mög-
    lichst unbeobachtet ihr Boudoir aufsuchte, um
    lange, lange an dem Orte sich ganz seinen Wünschen
    zu überlassen, wo er sie einst verwirklicht zu sehen
    hoffte. Aus der Luft dieses Raumes, den er hin und
    her durchmaß, wehte ihm gleichsam ihr Wesen ent-
    gegen, an jedem der Gegenstände ringsumher haf-
    tete etwas davon. Er konnte dann etwa das Buch
    öffnen, in dem sie, wie er vermutete, zuletzt gelesen,
    und die Seiten durchfliegen, die sie noch kürzlich in
    sich aufgenommen haben mußte, um so Geist von
    ihrem Geiste einzusaugen. Dann wieder blieb er in
    der Mitte des Gemaches stehen, um mit ängstlich
    pochendem Puls, ob niemand ihn

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