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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Vorge-
    schmack des Endes ist. Und wer ein Ende absieht, ist
    nicht mehr jung. Wie wenig das ehemals seine Art
    gewesen war! Er hatte in jeder neuen Liebe zugleich
    einen Halt, eine Gewißheit und etwas Dauerndes er-
    blickt, stets wieder enttäuscht und aufs neue vertrau-
    end. Jetzt erschien es ihm in tieferem Sinne kaum
    noch die Mühe lohnend, zu beginnen, so unmöglich
    er andererseits einen Rückzug gefunden hätte. Alles
    in ihm drängte und rief danach, die geliebte Gestalt
    dort vor ihm an sich zu reißen und festzuhalten –
    aber er fand es nutzlos und nahezu albern, als ihm
    einmal der Einfall kam, auch nur mit seinem Finger
    ihre feine, biegsame Taille zu berühren, die von der
    herabgeglittenen Sortie anmutig umrahmt wurde.
    Es war dies genau die Wirkung, welche die Musik
    auf ihn übte: das höchste Glücksverlangen verband
    sich mit der Entmutigung, die der Anblick einer sol-
    chen unerreichbaren Erfüllung, wie des hier Darge-
    stellten, in ihm hervorrief. Dies machte zusammen
    eine ungeduldige, unfruchtbar gereizte Stimmung
    aus. Es drückte ihn wie eine geheime Ratlosigkeit,
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    die erst aufgehoben wurde, als nach des Tannhäusers
    erlösendem Schrei mit dem Szenenwechsel der Cha-
    rakter der Musik von der empörtesten, dämonischen
    Leidenschaft sich in die keusche Lieblichkeit des
    Hirtenliedes verwandelte. Wie sich dieses mit dem
    langsam näher tönenden Pilgerchor untermischte,
    berührte diese Verbindung den noch soeben unter
    dem heftigsten Widerstreit der Gefühle Leidenden
    wie ein Balsam von heiliger Einfalt, dergestalt, daß er
    sich nur mit Mühe der Thränen zu enthalten ver-
    mochte. Die sanfte Romantik, die damit in ihm er-
    wacht war, zog ihn nun wieder auf besondere Weise
    zu Dora. Wie schon früher, fühlte er jetzt von
    neuem, wie die mystische Empfänglichkeit als ein
    wechselseitig empfundenes Band zwischen ihnen
    Beiden bestand. Er war sicher, daß die Schauer, die
    ihn in diesem Augenblick berührten, auch durch ihr
    Blut gingen. Mit gleich instinktiver Sicherheit aber
    verschwiegen sie sich Beide diese Gewißheit, da sie
    ahnten, daß sie nur unausgesprochen den gemeinsa-
    men Wert haben konnte, ihr Gefühl zu befruchten.
    So saßen sie auch nach Beendigung des Aktes im
    dunkeln Hintergrund der Loge, von niemand beob-
    achtet, schweigend bei einander. Er hatte sich, einen
    Arm aufs Knie gestützt, auf ihre Hand niederge-
    beugt, die er wieder und wieder küßte, nicht stür-
    misch, sondern mit leichter Selbstverständlichkeit
    oder mit träumerischer Ruhe. Es war dies bei dem
    stil en Einverständnisse, das von Anfang geheim und
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    jetzt mit ihrem vollen Bewußtsein und rücksichtslo-
    sen Willen zwischen ihnen bestand, die einzige Er-
    klärung, welche Zweck und Bedeutung besaß. Dora
    nahm sie ohne eine Antwort entgegen, den schlan-
    ken Körper steif, wie um sich Haltung zu geben, in
    dem gradlehnigen Sessel emporgereckt, während die
    Augen, gleich unsichern Sternen in dem ganz be-
    schatteten Gesicht, mit Mühe einen Punkt des Vor-
    hangs fixierten, und die Muskeln ihres Gesichtes
    sich gewaltsam zur Ruhe zwingen mußten unter
    dem fast unwiderstehlichen Drängen der im Leben
    dieser Frau so lange unbekannten großen Leiden-
    schaft.
    Der zweite Akt gab ihnen nicht den vorhergegan-
    genen gleichwertige Anregungen, doch vermochte
    sich Wellkamp bei seinem gerade jetzt wieder beleb-
    ten romantischen Hange mit starker Empfindung in
    die Schönheiten der mittelalterlichen Welt zu versen-
    ken, aus welcher der Empfang auf der Wartburg ei-
    nen so reizend anmutenden Ausschnitt gab. Er ge-
    noß den Anblick jener feinen und stolzen Kultur mit
    ihren vornehmen und freien Rangabstufungen, wie
    sie sich in den verständnisvoll inszenierten Einzel-
    heiten dieses Empfanges zeigte, in mehr oder weni-
    ger bewußtem Gegensatze zu Geist und Formen der
    modernen Zeit. Gehörte er doch zu der wachsenden
    Zahl derer, die ihr verletztes und unbefriedigtes Ge-
    fühl in der heutigen Welt ihren Platz einzunehmen,
    unlustig oder auch wohl untauglich macht. Dieses
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    Gefühl leitete am Ende ebenso wohl seine künstleri-
    sche Empfindung und sein religiöses Bedürfnis, wie
    es andererseits seine Lebensauffassung, ja seine poli-
    tische Parteinahme bestimmte. Bei desinteressierten
    Existenzen, deren geistige Persönlichkeit, so wenig
    wie dies überhaupt möglich ist, von zwangsweise ge-
    duldeten Schranken und Einflüssen durchkreuzt
    und behindert wird, läßt sich dieselbe

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