In einer Familie
Vorge-
schmack des Endes ist. Und wer ein Ende absieht, ist
nicht mehr jung. Wie wenig das ehemals seine Art
gewesen war! Er hatte in jeder neuen Liebe zugleich
einen Halt, eine Gewißheit und etwas Dauerndes er-
blickt, stets wieder enttäuscht und aufs neue vertrau-
end. Jetzt erschien es ihm in tieferem Sinne kaum
noch die Mühe lohnend, zu beginnen, so unmöglich
er andererseits einen Rückzug gefunden hätte. Alles
in ihm drängte und rief danach, die geliebte Gestalt
dort vor ihm an sich zu reißen und festzuhalten –
aber er fand es nutzlos und nahezu albern, als ihm
einmal der Einfall kam, auch nur mit seinem Finger
ihre feine, biegsame Taille zu berühren, die von der
herabgeglittenen Sortie anmutig umrahmt wurde.
Es war dies genau die Wirkung, welche die Musik
auf ihn übte: das höchste Glücksverlangen verband
sich mit der Entmutigung, die der Anblick einer sol-
chen unerreichbaren Erfüllung, wie des hier Darge-
stellten, in ihm hervorrief. Dies machte zusammen
eine ungeduldige, unfruchtbar gereizte Stimmung
aus. Es drückte ihn wie eine geheime Ratlosigkeit,
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die erst aufgehoben wurde, als nach des Tannhäusers
erlösendem Schrei mit dem Szenenwechsel der Cha-
rakter der Musik von der empörtesten, dämonischen
Leidenschaft sich in die keusche Lieblichkeit des
Hirtenliedes verwandelte. Wie sich dieses mit dem
langsam näher tönenden Pilgerchor untermischte,
berührte diese Verbindung den noch soeben unter
dem heftigsten Widerstreit der Gefühle Leidenden
wie ein Balsam von heiliger Einfalt, dergestalt, daß er
sich nur mit Mühe der Thränen zu enthalten ver-
mochte. Die sanfte Romantik, die damit in ihm er-
wacht war, zog ihn nun wieder auf besondere Weise
zu Dora. Wie schon früher, fühlte er jetzt von
neuem, wie die mystische Empfänglichkeit als ein
wechselseitig empfundenes Band zwischen ihnen
Beiden bestand. Er war sicher, daß die Schauer, die
ihn in diesem Augenblick berührten, auch durch ihr
Blut gingen. Mit gleich instinktiver Sicherheit aber
verschwiegen sie sich Beide diese Gewißheit, da sie
ahnten, daß sie nur unausgesprochen den gemeinsa-
men Wert haben konnte, ihr Gefühl zu befruchten.
So saßen sie auch nach Beendigung des Aktes im
dunkeln Hintergrund der Loge, von niemand beob-
achtet, schweigend bei einander. Er hatte sich, einen
Arm aufs Knie gestützt, auf ihre Hand niederge-
beugt, die er wieder und wieder küßte, nicht stür-
misch, sondern mit leichter Selbstverständlichkeit
oder mit träumerischer Ruhe. Es war dies bei dem
stil en Einverständnisse, das von Anfang geheim und
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jetzt mit ihrem vollen Bewußtsein und rücksichtslo-
sen Willen zwischen ihnen bestand, die einzige Er-
klärung, welche Zweck und Bedeutung besaß. Dora
nahm sie ohne eine Antwort entgegen, den schlan-
ken Körper steif, wie um sich Haltung zu geben, in
dem gradlehnigen Sessel emporgereckt, während die
Augen, gleich unsichern Sternen in dem ganz be-
schatteten Gesicht, mit Mühe einen Punkt des Vor-
hangs fixierten, und die Muskeln ihres Gesichtes
sich gewaltsam zur Ruhe zwingen mußten unter
dem fast unwiderstehlichen Drängen der im Leben
dieser Frau so lange unbekannten großen Leiden-
schaft.
Der zweite Akt gab ihnen nicht den vorhergegan-
genen gleichwertige Anregungen, doch vermochte
sich Wellkamp bei seinem gerade jetzt wieder beleb-
ten romantischen Hange mit starker Empfindung in
die Schönheiten der mittelalterlichen Welt zu versen-
ken, aus welcher der Empfang auf der Wartburg ei-
nen so reizend anmutenden Ausschnitt gab. Er ge-
noß den Anblick jener feinen und stolzen Kultur mit
ihren vornehmen und freien Rangabstufungen, wie
sie sich in den verständnisvoll inszenierten Einzel-
heiten dieses Empfanges zeigte, in mehr oder weni-
ger bewußtem Gegensatze zu Geist und Formen der
modernen Zeit. Gehörte er doch zu der wachsenden
Zahl derer, die ihr verletztes und unbefriedigtes Ge-
fühl in der heutigen Welt ihren Platz einzunehmen,
unlustig oder auch wohl untauglich macht. Dieses
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Gefühl leitete am Ende ebenso wohl seine künstleri-
sche Empfindung und sein religiöses Bedürfnis, wie
es andererseits seine Lebensauffassung, ja seine poli-
tische Parteinahme bestimmte. Bei desinteressierten
Existenzen, deren geistige Persönlichkeit, so wenig
wie dies überhaupt möglich ist, von zwangsweise ge-
duldeten Schranken und Einflüssen durchkreuzt
und behindert wird, läßt sich dieselbe
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