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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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machte eine dahingehende Be-
    merkung.
    »Findest Du es nicht auch?« fragte er seine Toch-
    ter.
    Anna stimmte schweigend zu. Sie hatte beim An-
    blick der Beiden eine blitzschnelle Regung wie von
    Angst und Abneigung zugleich gehabt. Es zitterte
    noch in ihr nach, ohne daß sie ahnte, was es sei. Wie
    viel später und nach wie vielem das sich inzwischen
    ereignet, sol te ihr die Vermutung kommen, daß dies
    die Eifersucht gewesen. Das unwürdige Gefühl hatte
    ihre vornehme Natur dieses einzige Mal, wie mit ei-
    nem gehässigen Biß, angefallen. Die junge Frau
    glaubte nicht anders, als infolge der heutigen Szene
    mit ihrem Gatten nachträglich von einer unedlen
    Regung überrascht worden zu sein. Die im Zimmer
    herrschende Dämmerung begann ihr unheimlich zu
    werden. Unwillkürlich erhob sie sich und entzün-
    dete mit einer Handbewegung den elektrischen
    Draht in der Krone über dem Tische.
    »Wie bleich Du bist«, sagte ihr Vater, als ihr Ge-
    sicht unter dem aufblitzenden Lichte erschien.
    »Es ist gut«, fügte er hinzu, »daß Du Dich recht-
    zeitig entschlossen hast, zu Hause zu bleiben.«
    »Du gehst hoffentlich früh zur Ruhe«, riet Well-
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    kamp, der es gut fand, noch den leicht verletzten und
    verletzenden Ton von heute morgen beizubehalten.
    »Bleib nur nicht auf, uns zu erwarten. Es könnte
    zu spät werden.«
    Dora schauerte zusammen. Sie meinte in seinen
    Worten eine Absicht zu bemerken, die sie zu verdek-
    ken suchte.
    »Wir werden wohl vor Schluß nach Hause kom-
    men«, sagte sie. »Ich bin ziemlich müde.«
    Selbst dieses kurze Lebewohl hatte sie nur durch
    eine äußerste Anstrengung ermöglicht. Einen Au-
    genblick glaubte sie sich von ihren Kräften verlassen,
    die erst während der Fahrt langsam zurückkehrten.
    Sie fühlte sich freier, je mehr sie sich vom Hause und
    von den dort Zurückgebliebenen entfernte, deren sie
    bedrückende Existenz sie wenigstens für diesen
    Abend vergessen wollte an der Seite des Mannes, auf
    den zur Zeit ihr ganzes Leben gestellt war. Wie
    durch die Wagenfenster nur ein dichter Abendnebel
    zu ihnen hereinblickte, so hatte ihr Gefühl um sie
    her etwas wie einen Dunstkreis gelegt, durch den al-
    les Fremde nur verschleiert und wesenlos bis zu ih-
    nen Beiden zu dringen vermochte. Auch ward die
    Einsamkeit, die sie umgab, nur noch empfindlicher,
    als sie von der dunkeln Loge auf die Menschen-
    menge hinunterblickte, aus der keiner sie kannte,
    niemand etwas von ihr wußte, noch sie beobachtete,
    während die Vorgänge auf der Bühne, die bereits
    begonnen, nur den Eindruck von etwas Traumhaf-
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    tem, weit Herüberkommenden auf sie machten. Es
    waren nichts als wirre Begleiterscheinungen einer
    Musik, welche sie nach und nach in einen Rausch
    versetzte, der vielleicht der erste und letzte ihres Le-
    bens war. Die Augenblicke, in denen sich ein Leben
    wie das dieser Frau einmal zu solcher Hohe und
    Rücksichtslosigkeit des Gefühls erheben darf, sind
    durch Bedrückungen und Tiefen, die ihnen voraus-
    gingen und nachfolgen, durch Kämpfe und Leiden
    kostbar gemacht. Vielleicht, daß jemand, der ihr
    Entstehen und ihren Verlauf zu überblicken ver-
    möchte, sich der Wehmut bei diesem traurigen
    Glück nicht enthalten könnte.
    Wellkamp empfand unbestimmt etwas ähnliches,
    wenn sie, die seinen Hauch an ihren Nacken wehen
    gefühlt, sich wendete und die Bemerkung, die er ihr
    zuzuflüstern hatte, von seinem Munde mit Augen
    absah, deren Größe und Glanz ihm fieberhaft er-
    schien. Sie lächelte ihm zu mit einem Ausdruck, als
    verstehe sie nichts, als er sagte: »Es ist fast zu viel.«
    Thatsächlich brachte die Musik auf ihn eine förmlich
    entnervende Wirkung hervor. In der Begleitung der
    Venusbergszene mit den aus dem Brausen des Or-
    chesters sich losringenden, tollen Violinwirbeln, die
    durch einfallende Trompetenmotive immer maßlo-
    ser gesteigert wurden, erreichte am Ende die Leiden-
    schaft einen Grad, wo sie für ihn in seltsamer Weise
    unerträglich wurde. Er mußte sich in dem Augen-
    blicke, wo er selbst im Begriffe stand, ein neues
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    Glück an sich zu reißen, machtlos fühlen vor der Ge-
    walt der Empfindung und der ungeheuren Lebens-
    energie, die hier auf ihn eindrang. Er kam sich dem
    gegenüber fast alt und jedenfalls zu wenig naiv vor,
    um sich noch immer mit solch voller Überzeugung
    einer Leidenschaft hinzugeben. Es war das erste Mal,
    daß er eine neue Verbindung gleichsam mit der leisen
    Bitterkeit auf der Zunge einging, die der

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