Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:

    In der tiefen Dämmerung des übrigen Raumes,
    die sie noch mehr in ihre wohlthuende Betäubung
    einlullte, vermochten die Vorstellungen ihres ermü-
    deten Geistes kaum an etwas anderes anzuknüpfen
    als an die Flamme, die sie vor ihren Augen abwech-
    selnd heller leuchten, rauchen, zusammenfallen,
    wieder aufflackern sah. Und auch dies würde sie
    ohne Anregung gelassen haben, wenn es nicht That-
    sache wäre, daß wir jede vor uns sich abspielende Er-
    scheinung, zumeist unbewußt, mit bestimmten Vor-
    stellungen und Ideen begleiten, die in dem Vorrate
    unserer früheren, ähnlichen Eindrücke und Erfah-
    170
    rungen bereit lagen und ihrer Anwendung warteten.
    Jene, uns häufig genug irgendwie von außen einge-
    gebenen Ideenfragmente sind es ihrerseits erst, die
    die eigentlichen, uns als solche bewußten Empfin-
    dungen in uns hervorrufen. Mögen diese uns später
    den Vorgang als ein starkes Seelenerlebniß erschei-
    nen lassen, wie wenig naiver und ursprünglicher Art
    sind sie dennoch nur zu häufig gewesen! Sie lassen
    den uns lieben Anspruch, unser eigenstes Leben zu
    leben, unberechtigt genug erscheinen.
    Wie oft mochte dieser Frau der Vergleich des sich
    aufbäumenden, spielenden, kämpfenden und erster-
    benden Feuers mit den analogen Vorgängen im
    menschlichen Leben begegnet sein, ehe ihr innerer
    unbewußter Sinn ihn hier auf die Leidenschaften an-
    wenden konnte, die sie selbst durchlebte. Wie oft
    hatte sie ihn in sich aufgenommen als Gesprächs-
    phrase, als Scherz, vielleicht als Dichtung. In ihrer
    Träumerei fanden sich Bruchstücke von Versen zu-
    sammen, die ihr in ihrer New-Yorker Zeit ein junger
    Mann, der eine Weile in ihrem engeren Kreise gelebt,
    in einer Gesellschaft, auf ein Zettelchen geschrieben
    zugesteckt hatte. Der junge Dichter spielte darin mit
    einer Stimmung, die so, wie er sie ausdrückte, nie-
    mals zwischen ihnen bestanden. Da sie jedoch nicht
    ungeschickt wiedergegeben war, hatte Dora sich, ih-
    rerseits mit dem Dichter spielend, gern in sie hinein-
    geträumt. Sie hatte das Gedicht damals häufig genug
    gelesen, um es auch jetzt noch, ohne sich des Wort-
    171
    lauts bewußt zu werden, gleichsam mit der Seele zu
    überschauen.
    »Du aber streutest die welken Zweige
    Gedankenlos lässig in den Kamin …
    Der warme Winter ging zur Neige,
    Ein kühler Frühling ließ weiter mich ziehn.
    Wir saßen einander genüber am Feuer,
    Wie oftmals, in unsere Sessel geschmiegt;
    Nur daß es zuletzt war, es wärmt uns kein neuer
    Glutwirbel nach dem, der dort verfliegt.
    Ich dachte, indes wir Beide verstummten,
    Wie hoffnungslos so in Asche sank,
    Was die Flammen – wie oft! – ins Ohr uns summten
    Das Glück ein ganzes Leben lang.
    Ich dachte, es wäre wieder zu bringen
    Nicht mehr von dem Leben, das hier entschwand,
    Als von dem der welken, zu frühen Syringen,
    Die zerknickt Deine schmale, blasse Hand.
    Du aber streutest die welken Zweige
    Gedankenlos lässig in den Kamin –
    Und es war, wie wenn aus der Asche steige,
    Was für uns Beide gestorben schien.
    172
    Wir sahen uns an und wußten, die Flammen,
    Die Sträuße, die ihre sinkende Nacht
    Noch einmal erhellten, sie hatten zusammen
    Uns Beiden den nämlichen Wunsch entfacht.
    Sie hießen uns, unsere Abschiedswehen
    Vereint zu letztem Glück zu weihn;
    Es sollte das Auseinandergehen
    Eine letzte Liebeserfüllung sein.«
    So vage und unausgesprochen dies Alles blieb, so
    verdichtete sich doch die dadurch genährte, schein-
    bar gegenstandslose Stimmung so weit, bis am Ende
    eine ganz bestimmte Tendenz sich in der seelischen
    Verfassung der jungen Frau klargestellt hatte. Sicher
    würden wir erschrecken, wenn unser Bewußtsein
    nach Beendigung eines solchen inneren Vorganges
    noch die unsicheren, wenig bedeutenden Elemente
    festzustellen vermöchte, die häufig den Grund bil-
    den, aus welchem unsere wichtigsten, verhängnis-
    vollen Schlüsse hervorwachsen. Wahrscheinlich
    würden wir uns nur noch inniger an den Glauben
    klammern, daß es eine Schicksalsmacht ist, die mit
    zufälligen oder doch für uns nicht zu unterscheiden-
    den Mitteln uns hier wie überall zu dem von ihr vor-
    herbestimmten Ziele leitet.
    Thatsächlich war der Entschluß, der Dora, als sie
    endlich aus ihren Träumereien aufgestört wurde, als
    Ergebnis derselben vor Augen stand, und den sie
    173
    noch am selben Tage zur Ausführung brachte, ähn-
    lich bedeutend dem, in welchen jenes Gedicht aus-
    klang.
    Da der Beginn der Oper in die tägliche

Weitere Kostenlose Bücher