In einer Familie
volles
Licht hindurchließen, das, vom Spiegel reflektiert,
über den leichten Nackenflaum der am Flügel Sit-
zenden huschte. Sie hatte leise mit einer Hand zu
präludieren begonnen, wobei ihre träumenden
Sinne weniger den abgerissenen, wie zufälligen Tö-
nen als den Bewegungen ihrer biegsamen Finger
folgten. Während einiger Augenblicke blieb sie in
die naive Bewunderung der eigenen Reize versun-
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ken, die auch wohl raffinierten Frauen nach der Er-
langung eines Glückes, so groß, daß es fast unbe-
greiflich erscheint natürlich ist.
Von dem triumphierenden Glücksgefühl, mit wel-
chem Dora heute Morgen nach ruhig durchschlafe-
ner Nacht erwacht war, und das diese ersten Stunden
– auf wie lange? – ohne Verbitterung blieb, war in
dem Liede, das sie dann nach den vor ihr stehenden
Noten anschlug, kaum etwas zu spüren. Dora aber
sang es mit jener Melancholie des Glücks, die, ver-
möge der seltsamen Macht des Gegensatzes, uns das
Lustgefühl doppelt durchkosten läßt. Übrigens
konnte allen ihren Dispositionen nichts besser ange-
paßt sein als diese, von einem jungen Komponisten,
den sie bevorzugte, herrührende Komposition des
Geibelschen »Die stille Wasserrose«. Sie war ganz
geeignet, diese weniger in die Tiefe gehende und auf-
wühlende, als mit sicherem Geschmack eine kompli-
zierte Empfindlichkeit berührende Musik zu verste-
hen. Das Charakeristische der Melodie war eine
auch in augenblicklichen Steigerungen gleichsam re-
signierte Weichheit und die unmerklich fesselnde
Monotonie ihrer wellenförmigen Gangart. Gleich
den wechselnden und sich wieder erneuernden
Klangfiguren, die in immer neuen Tönen stets den
selben Gedanken ausdrückten, fluteten die eigenen
Gedanken der Spielerin, in vagen Wellen, fort ins
Unendliche, um stets zu dem einen festen Punkt zu-
rückzukehren.
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Während sie nach Beendigung des Liedes, die
Lippen leicht geöffnet und die Hände lässig auf die
Tasten gelehnt, die wachgerufene Bewegung in sich
ausklingen ließ, meinte sie, mehr vielleicht durch
sympathische Ahnung als durch eigentliche Sinnes-
wahrnehmung, die äußere Thür des Zimmers hinter
den davorgelegten Portièren sich öffnen zu hören.
Unter einer süßen Spannung, abzuwarten, sich be-
lauschen und überraschen zu lassen, begann sie wie-
derum, und es war abermals Melancholie, aber eine
sozusagen wirklichere, mehr greifbare, die der
Komponist in dem »Lied der Ghawâze« des Prinzen
Schönaich-Carolath behandelt hatte. Statt der un-
sichern Traumstimmung, die im vorhergehenden
Stücke geherrscht, fand sich hier das tiefe Auf-
schluchzen eines Menschenlebens ausgedrückt. Die
Sängerin war selbst von der wunderlichen Situation
mehr und mehr hingerissen, so daß die kurzen, ab-
gerissenen Verse in ihrem Munde eine überra-
schende Wiedergabe erfuhren.
»… Falsch meine Liebe,
Echt nur mein Leid …«
Sie war selbst erstaunt, einen so ganz von der wahren
Stimmung durchtränkten Ausdruck zu finden.
Wirklich war während des Gesanges sogar ihre
Stimme weicher geworden; sie schien ihre gewöhn-
liche Härte zugleich mit dem Zwange abgelegt zu
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haben, der ihr im alltäglichen Verkehr gewohnt war,
und dessen sie in diesem Augenblicke und unter
dem Deckmantel, den ihr die fremden Worte verlie-
hen, nicht bedurfte.
Der Lauscher hinter dem Vorhange wurde von
dem intimen Einblick, der ihm so unvermutet in die
Seele der geliebten Frau eröffnet schien, seltsam und
tief berührt. Er dachte nicht daran, zu unterschei-
den, was in dieser Stimmung Wesentliches und Be-
deutendes, was nur Augenblickliches und paradoxe
Selbsttäuschung darin sein mochte. Er wurde voll-
ends überwältigt durch ihre ausdrucksvolle und da-
bei so schlichte Klage
»Keiner hat lieb mich
Auf dieser Welt –«
dergestalt, daß er mit ziemlich heftiger Bewegung
hervortrat und den fast schmerzlichen Vorwurf
nicht zurückhielt:
»Wie magst Du das aussprechen!«
Er erstickte den kleinen Schrei, den sie bei seinem
plötzlichen Erscheinen ausstieß, mit seinen Lippen.
Da durch den leichten Schreck die eigentümliche
Spannung der letzten Augenblicke gelöst war, gab
Dora sich seinen Liebkosungen mit zärtlicher Zu-
friedenheit hin.
»Du hast mir mutwillig eine ganze Viertelstunde
unseres kostbaren Zusammenseins geraubt, Du
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Horcher an der Thür,« sagte sie. »Was Du gehört
hast, war nur Deine gerechte Strafe.«
Sie richtete sich, wie er über sie
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