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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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thatsächlich
    zuweilen mit al en ihren Äußerungen auf eine solche
    Grundtendenz zurückführen.
    Indes ward die Aufmerksamkeit des jungen Man-
    nes abgelenkt, als er Dora sich wiederholt ermüdet
    zurücklehnen sah. Die Musik habe sie doch noch
    stärker angegriffen als sie gemeint, sagte sie. Er zog
    die Uhr. »Es ist kaum zehn.« Ihr Blicke trafen sich,
    sie schlug den ihren nieder. Jedes hatte den Ge-
    danken des Andern verstanden, daß man nicht heim-
    kehren dürfte, bevor man nicht sicher wäre, die
    Zurückgelassenen nicht mehr vorzufinden. Dann
    wandten sie wieder eine scheinbare Aufmerksamkeit
    den Vorgängen auf der Bühne zu.
    Sie verweilten auch noch in der Pause, während
    welcher sie mit gezwungener, zuweilen leicht zit-
    ternder Stimme gleichgiltige Bemerkungen über die
    Vorstellung austauschten, und den größten Teil des
    letzten Aufzuges. Gegen elf und kurz vor der aber-
    maligen Verwandlung zur Venusbergszene, die
    Beide in diesem Augenblick scheuten, brachen sie
    auf. Die Bewegung, mit der Wellkamp die Geliebte
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    in den Wagen hob und sich an ihrer Seite niederließ,
    war die erste, durch welche er gleichsam von ihr Be-
    sitz ergriff, durch welche er sie und sich selbst fühlen
    ließ, daß sie voll und ohne Störung zu einander ge-
    hörten.
    In der Dunkelheit des Wagens glaubte er einmal
    einen tiefen Atemzug zu hören, der in ein leises, lei-
    ses Schluchzen ausklang. Er ergriff mit zärtlicher
    Bewegung ihre beiden Hände, welche ängstlich kalt
    waren und bei seiner Berührung erzitterten.
    »Du hast Furcht?« fragte er, und keines von ihnen
    beachtete dieses erste Du.
    »Warum?«
    »Weil ich Dich lieb habe.«
    Ihre Stimmung ward erst wieder heimlicher, als
    sie, in den Flur des Hauses eintretend, alles bereits
    dunkel fanden. Wellkamp geleitete die junge Frau,
    die dennoch, obschon nur aus körperlicher Müdig-
    keit, zuweilen den Schritt verzögerte, mit zärtlicher
    Sorgfalt die Treppe hinan. Auch droben waren, au-
    ßer einer weit heruntergeschrobenen, alle Flammen
    ausgelöscht. Er machte Licht, sodann war er Dora
    behilflich, ihre Toilette zu ordnen. Sie waren zusam-
    men vor den Pfeilerspiegel der Vorhalle getreten, in
    dem ihre Blicke einander suchten. Er sah ihr mit ei-
    nem leise fragenden Lächeln in die Augen, in denen
    jener traurige Fieberglanz einer leichten zärtlichen
    Koketterie Platz zu machen begann. Dankbar
    streifte er mit seinen Lippen ihre Schulter. Dann ta-
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    steten sie sich zusammen durch das ganz düstere
    Speisezimmer, in welchem sie aus einem Winkel von
    einer winzigen blauen Flamme her das Summen des
    Theekessels begrüßte. Als Wellkamp hier sowie ne-
    benan in Doras Boudoir das Licht entzündet hatte,
    setzte er sich stil auf seinen Platz am Speisetisch, um
    der Geliebten zuzusehen, die den Thee herrichtete.
    Den Kopf in die Hand gestützt, folgte er ihren Be-
    wegungen, wie sie ging und kam. Als sie endlich mit
    seiner Tasse auf der silbernen Platte vor ihm stand,
    griff er nicht sogleich zu. Er sah zu ihr auf; ihr Ge-
    sicht hatte durch die langen Wimpern, welche über
    ihre zu ihm gesenkten Augen hingen, einen Aus-
    druck wie das einer Schlafwandelnden erhalten. Als
    er ihren Blick gefunden, sagte er ihr, daß sich ihr
    Haar, wohl beim Hutabnehmen, ein wenig gelöst
    habe. Er war entzückt, einen wie reizend intimen
    Ausdruck es so ihrer Gestalt gäbe. Sie wollte es wie-
    der ordnen, dabei erfaßte sie die Rose, die nur noch
    locker darin hing, und nun vor ihn hin auf das Tisch-
    tuch fiel. Sie hatte noch mehr Blätter verloren; er bog
    die, welche sie noch besaß, auseinander und küßte
    sie einzeln. Dann nahm er auf gleiche Weise Doras
    schlanke Finger in seine Hand, um jeden zu küssen,
    wie wenn er nochmals eine Rose entblätterte. Sie bat
    ihn, sie loszulassen; sie fürchtete, das Theegeschirr
    fallen zu lassen, das sie noch immer mit einer Hand
    hielt. Als er ihr nicht gleich willfahrte, berührte sie
    schnell, mit reizender, halb mädchenhafter Bewe-
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    gung, mit den Lippen seine Stirn. Darauf gab er sie
    frei.
    Sie saßen lange, während der Mahlzeit und nach-
    her, einander gegenüber. Allmählich begann er ihr
    von seinem früheren Leben zu erzählen, harmlose
    Kleinigkeiten, denen sie mit stiller Aufmerksamkeit
    zuhörte. Zuweilen anknüpfend, teilte auch sie ihm
    Erlebnisse und Eindrücke aus ihrer Heimat und aus
    vergangenen Tagen mit. Keines von ihnen gedachte
    der jetzigen Verhältnisse; es war, als hätten sie alles
    vergessen,

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