In einer Familie
thatsächlich
zuweilen mit al en ihren Äußerungen auf eine solche
Grundtendenz zurückführen.
Indes ward die Aufmerksamkeit des jungen Man-
nes abgelenkt, als er Dora sich wiederholt ermüdet
zurücklehnen sah. Die Musik habe sie doch noch
stärker angegriffen als sie gemeint, sagte sie. Er zog
die Uhr. »Es ist kaum zehn.« Ihr Blicke trafen sich,
sie schlug den ihren nieder. Jedes hatte den Ge-
danken des Andern verstanden, daß man nicht heim-
kehren dürfte, bevor man nicht sicher wäre, die
Zurückgelassenen nicht mehr vorzufinden. Dann
wandten sie wieder eine scheinbare Aufmerksamkeit
den Vorgängen auf der Bühne zu.
Sie verweilten auch noch in der Pause, während
welcher sie mit gezwungener, zuweilen leicht zit-
ternder Stimme gleichgiltige Bemerkungen über die
Vorstellung austauschten, und den größten Teil des
letzten Aufzuges. Gegen elf und kurz vor der aber-
maligen Verwandlung zur Venusbergszene, die
Beide in diesem Augenblick scheuten, brachen sie
auf. Die Bewegung, mit der Wellkamp die Geliebte
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in den Wagen hob und sich an ihrer Seite niederließ,
war die erste, durch welche er gleichsam von ihr Be-
sitz ergriff, durch welche er sie und sich selbst fühlen
ließ, daß sie voll und ohne Störung zu einander ge-
hörten.
In der Dunkelheit des Wagens glaubte er einmal
einen tiefen Atemzug zu hören, der in ein leises, lei-
ses Schluchzen ausklang. Er ergriff mit zärtlicher
Bewegung ihre beiden Hände, welche ängstlich kalt
waren und bei seiner Berührung erzitterten.
»Du hast Furcht?« fragte er, und keines von ihnen
beachtete dieses erste Du.
»Warum?«
»Weil ich Dich lieb habe.«
Ihre Stimmung ward erst wieder heimlicher, als
sie, in den Flur des Hauses eintretend, alles bereits
dunkel fanden. Wellkamp geleitete die junge Frau,
die dennoch, obschon nur aus körperlicher Müdig-
keit, zuweilen den Schritt verzögerte, mit zärtlicher
Sorgfalt die Treppe hinan. Auch droben waren, au-
ßer einer weit heruntergeschrobenen, alle Flammen
ausgelöscht. Er machte Licht, sodann war er Dora
behilflich, ihre Toilette zu ordnen. Sie waren zusam-
men vor den Pfeilerspiegel der Vorhalle getreten, in
dem ihre Blicke einander suchten. Er sah ihr mit ei-
nem leise fragenden Lächeln in die Augen, in denen
jener traurige Fieberglanz einer leichten zärtlichen
Koketterie Platz zu machen begann. Dankbar
streifte er mit seinen Lippen ihre Schulter. Dann ta-
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steten sie sich zusammen durch das ganz düstere
Speisezimmer, in welchem sie aus einem Winkel von
einer winzigen blauen Flamme her das Summen des
Theekessels begrüßte. Als Wellkamp hier sowie ne-
benan in Doras Boudoir das Licht entzündet hatte,
setzte er sich stil auf seinen Platz am Speisetisch, um
der Geliebten zuzusehen, die den Thee herrichtete.
Den Kopf in die Hand gestützt, folgte er ihren Be-
wegungen, wie sie ging und kam. Als sie endlich mit
seiner Tasse auf der silbernen Platte vor ihm stand,
griff er nicht sogleich zu. Er sah zu ihr auf; ihr Ge-
sicht hatte durch die langen Wimpern, welche über
ihre zu ihm gesenkten Augen hingen, einen Aus-
druck wie das einer Schlafwandelnden erhalten. Als
er ihren Blick gefunden, sagte er ihr, daß sich ihr
Haar, wohl beim Hutabnehmen, ein wenig gelöst
habe. Er war entzückt, einen wie reizend intimen
Ausdruck es so ihrer Gestalt gäbe. Sie wollte es wie-
der ordnen, dabei erfaßte sie die Rose, die nur noch
locker darin hing, und nun vor ihn hin auf das Tisch-
tuch fiel. Sie hatte noch mehr Blätter verloren; er bog
die, welche sie noch besaß, auseinander und küßte
sie einzeln. Dann nahm er auf gleiche Weise Doras
schlanke Finger in seine Hand, um jeden zu küssen,
wie wenn er nochmals eine Rose entblätterte. Sie bat
ihn, sie loszulassen; sie fürchtete, das Theegeschirr
fallen zu lassen, das sie noch immer mit einer Hand
hielt. Als er ihr nicht gleich willfahrte, berührte sie
schnell, mit reizender, halb mädchenhafter Bewe-
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gung, mit den Lippen seine Stirn. Darauf gab er sie
frei.
Sie saßen lange, während der Mahlzeit und nach-
her, einander gegenüber. Allmählich begann er ihr
von seinem früheren Leben zu erzählen, harmlose
Kleinigkeiten, denen sie mit stiller Aufmerksamkeit
zuhörte. Zuweilen anknüpfend, teilte auch sie ihm
Erlebnisse und Eindrücke aus ihrer Heimat und aus
vergangenen Tagen mit. Keines von ihnen gedachte
der jetzigen Verhältnisse; es war, als hätten sie alles
vergessen,
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