Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
in der Ehe geherrscht, die Berechti-
    gung bestritt. Indes war die Erklärung, die er seiner
    nunmehrigen Gegnerschaft mit dem Major gab,
    gleichfalls wohl einzusehen. Thatsächlich trat bei
    dem jetzigen Stande der Dinge der tiefe Gegensatz
    in den Naturen der beiden Männer, der ehemals
    durch günstigere Umstände so wenig wie möglich
    fühlbar gemacht war, in seiner ganzen Schärfe her-
    vor. Was war aus der offenen Sympathie geworden,
    die in der guten Zeit ihres Verkehrs zwischen den
    Männern geherrscht, was aus der gefälligen Rück-
    sichtnahme, die Wellkamp diesem bescheideneren
    Geiste gegenüber, der für ihn gleichwohl etwas von
    väterlicher Autorität besaß, immer beobachtet hatte.
    Nun war es eben die Einfachheit der Natur Herrn v.
    Grubecks, die den komplizierten, weniger durch-
    sichtigen Menschen in Wellkamp abstieß, ja belei-
    digte. Die Rückhaltlosigkeit und innere Freiheit des
    Wesens, die trotz der seelischen Krisen, die auch sie
    zu überstehen gehabt, diese Soldatennatur nie ganz
    verloren hatte, kamen ihm wie ein schweigender
    Vorwurf für alles das vor, was von seinem eigenen
    Leben verborgen und schuldig war. Sehr bald be-
    gann er sich zu fragen, ob Herr v. Grubeck in Wahr-
    heit so ahnungslos sei, wie es den Anschein habe,
    199
    und seiner wachsenden Empfindlichkeit ward es
    nicht schwer, in den gleichgiltigsten Gesprächen
    Anspielungen zu entdecken, die ihn zittern mach-
    ten. In der Scham, die ihm diese Furcht verursachte,
    beschäftigte er sich ernstlich mit dem Gedanken an
    eine Explosion und eine Aussprache. Endlich ge-
    langte er in Reizbarkeit und Trotz dahin, eine Gele-
    genheit hierzu zu suchen, wenn der Andere nicht
    den Mut besaß, sie herbeizuführen. Dennoch dau-
    erte es eine geraume Weile, ehe der Wunsch, der un-
    erträglichen Unsicherheit seiner Lage ein Ende zu
    machen, die Oberhand über den natürlichen Wider-
    willen gegen einen derartigen Schritt behielt. Noch
    dazu bedurfte es einer Gelegenheit, wo seine üble
    Laune rein zufällig die Sache auf die Spitze trieb,
    ohne daß er eigentlich beabsichtigt hätte, den ent-
    scheidenen Schlag zu führen. Der Anlaß war von je-
    ner Kleinlichkeit, bei der nur die Streitsucht in einer
    Familie nicht scheut, sich aufzuhalten. Es ist, als
    würde hier die Wichtigkeit, welche gerade die un-
    scheinbarsten Bande und Einverständnisse für eine
    glückliche Vertraulichkeit besitzen, dadurch bewie-
    sen, daß andererseits auch kleine Differenzen unter
    den nahe bei einander Lebenden von größerer Wir-
    kung sind als unter Entfernteren.
    Wel kamp fand eines Tages seinen Schwiegervater
    damit beschäftigt, eigenhändig den Vorhang herab-
    zunehmen, welcher die Verbindungsthür zwischen
    den beiden zu einem Haushalt vereinigten Wohnun-
    200
    gen verdeckte. Die kleinen Sorgen um das Interieur
    seiner Kinder, welche der alte Herr von jeher zu sei-
    nen Beschäftigungen gezählt hatte, das Vertauschen
    einer Dekoration, das gelegentliche Umstellen eini-
    ger Möbel, hatten neuerdings ebenfalls Wellkamps
    Mißfallen erregt. Er trat ungeduldig hinzu.
    »Darf man wissen, was Sie vorhaben?« fragte er.
    Der Major, ganz vertieft, beachtete kaum den ge-
    reizten Ton, in dem die Frage gestel t war und an den
    er übrigens in letzter Zeit durch den jungen Mann
    gewöhnt war.
    »Sehen Sie sich nur den Stoff an, dort auf dem
    Stuhle«, rief er von seiner Trittleiter herab. »Er hat
    den Vorzug, mit der Bekleidung der beiden Räume
    gleichmäßig zu harmonieren. Ich komme heute end-
    lich dazu, ihn statt dieses häßlichen Fetzens anzu-
    bringen, der mir damals bei unsern Einkäufen auf
    dem Halse geblieben ist, und für den ich keine an-
    dere Verwendung hatte als diese.«
    Der Andere wurde durch den ruhigen Ton der
    kleinen Auseinandersetzung noch mehr gereizt.
    »Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß ich
    erwartet hätte, Sie würden mir von Anschaffungen,
    die meinen Haushalt so gut betreffen wie Ihren eige-
    nen, vorher Mitteilung machen.«
    »Aber meine Tochter hat mich ja gerade erst dar-
    auf aufmerksam gemacht. Ich dachte, Sie wüßten –«
    Betroffen durch die unerklärliche Heftigkeit war
    Herr v. Grubeck die Stufen der Leiter herabgeklet-
    201
    tert und wies auf Anna, die, durch die laute Stimme
    ihres Gatten aufmerksam gemacht, soeben eintrat.
    »Ich bin nicht benachrichtigt«, fuhr Wellkamp
    von neuem auf, froh, seinen Unmut auf Anna aus-
    dehnen zu können, »und ich bedauere die Überei-
    lung meiner Frau. Ich

Weitere Kostenlose Bücher