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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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geneigt stand, an
    seinen Schultern auf, um lässig an ihn gelehnt den
    Raum zu durchschreiten. Dabei gab sie sich kaum
    die sonst stets gewohnte Mühe, das leichte Nachzie-
    hen ihres linken Fußes zu verbergen. Es war, als
    sollte in solchen ersten, seltenen Stunden ihrer Ver-
    bindung, recht im Gegensatz zu all ihrem früheren
    Leben, die Intimität ihrer Liebe keine Grenzen ken-
    nen.
    Die Begrüßung war zärtlich und stil gewesen; erst
    allmählich kam wieder die ungestüme Leidenschaft
    des vergangenen Abends über sie. Sie wiederholten
    sich die Liebesworte, die sie für einander gefunden,
    und belebten mit halben Worten die süßen, erst so
    frischen Erinnerungen. Ein weiter, vor den Kamin
    geschobener Sessel hatte sie Beide aufgenommen. Zu
    dem engen Beisammensein teilten sich ihre Körper
    die Wärme gegenseitig mit, die sie von dem zu ihren
    Füßen flackernden Feuer erhielten. Zugleich schien
    diese Flamme sie wecken und beleben zu wollen mit
    ihren über sie hinhuschenden, spielenden und lok-
    kenden Reflexen, die Wellkamp mit seinem Finger
    liebkosend auf den Händen der Geliebten verfolgte.
    Dann riß er sie wieder mit sich in einem jener plötz-
    lichen, wilden Anfälle, die sie in seiner nervösen,
    springenden Natur vorausgeahnt, und die sie den-
    noch in dieser ersten Nacht so unbeschreiblich süß
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    erschreckt hatten. Bevor sie sich jedoch seinem
    Drängen ganz überließ, fand sie einen Augenblick
    zu einer von dem leidenschaftlich Erregten kaum be-
    merkten, wunderlichen Bewegung. Sie hatte kurz
    das Haupt erhoben, den Blick nach oben gerichtet,
    und zwischen ihren wie inbrünstig halb geöffneten
    Lippen hervor drang ein kaum hörbarer Ausruf, ein
    »O Gott!«, das als ein Dankgebet und als ein Flehen
    um Verzeihung gedeutet werden konnte, und das
    vielleicht beides in einem war.
    Als er sie endlich frei gelassen, entfuhr diesen sel-
    ben Lippen ein seltsam klirrendes Lachen, wie wenn
    zwei Messer in schneller Wiederholung leise aufein-
    ander stießen. Sie hatte solche überraschende Um-
    schläge ihrer Stimmung, die vielleicht ihr Instinkt
    nach der seinigen zu richten wußte. Jedenfalls fand
    sie genau den rechten Ton und Ausdruck wie eben
    jetzt den, womit sie ihr Gesicht, das ein wenig Farbe
    bekommen, dem seinen ganz nahe brachte. So hatte
    sie die Genugthuung, den schlaffen Zug, der augen-
    blicklich darin lag, und die kleinen, seine Augenlider
    zusammenziehenden Falten, welche den Blick plötz-
    lich so nüchtern erscheinen ließen, sogleich wieder
    verschwinden zu sehen. Sie lachte noch einmal, und
    wie zuerst ihren Schreckensausruf, so nahmen jetzt
    seine Lippen dieses Lachen von den ihren fort. Er
    liebte an Dora diese Unberechenbarkeit der Stim-
    mungen, die ihn nie von einem Zustand, in den sie
    ihn versetzt, sich völlig erholen, nie ganz zur Besin-
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    nung kommen ließ. Sein Durst nach wechselnden,
    flüchtigen und doch starken Eindrücken hatte im
    Verkehr mit ihr Nahrung erhalten, und es ließ ihn
    mit einer Art nachsichtigen Mitleids lächeln, als ihm
    jene Frage Annas, die sie während der ersten, ver-
    trauten Aussprache an ihn richtete, einfiel, ob er
    denn eine Frau lieben könnte, die er nicht verstände?
    War doch eben das Fremde, Unbegreifliche in dieser
    Frau ein Bestandteil der großen Anziehungskraft,
    die sie auf ihn ausübte. Unter diesem Eindruck
    schien ihm der Grund, weshalb die Intimität mit
    seiner Gattin ihn auf die Dauer nicht befriedigt
    hatte, vorwiegend in der übergroßen Einfachheit ih-
    rer Natur zu liegen. Es blieb in Annas Seele zu wenig
    Unausgesprochenes, nicht Offenkundiges zurück,
    und wenn es Verborgenes darin gab – und welche
    Frau hätte nicht den, vielleicht ihr selbst unbekann-
    ten Instinkt, von dem Reize des Rätselhaften auch
    für den vertrautesten Geliebten stets etwas zurück-
    zuhalten! – So war es doch nicht der Art, seine Phan-
    tasie dauernd zu beschäftigen.
    Jenes seltsame Mitleid, das sich hier zuerst deutlich
    geregt, überwog während der ersten Zeit seines
    neuen Glücks in Wellkamps Gefühlen für Anna. Es
    kam ordentlich warm über ihn, als er sie beim Früh-
    stück so still ihres Hausfrauenamtes walten sah. Die
    Erinnerung, wie inbrünstig er gestern Abend jene
    andere Hand geküßt, die ihm den Thee gereicht,
    schien ihm etwas wie einen traurigen Schatten über
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    die Gestalt der ernsten jungen Frau zu legen. Er hätte
    sie gern sein Glück teilen sehen: es war unbegreiflich,
    wie der Egoismus der

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