In einer Familie
geneigt stand, an
seinen Schultern auf, um lässig an ihn gelehnt den
Raum zu durchschreiten. Dabei gab sie sich kaum
die sonst stets gewohnte Mühe, das leichte Nachzie-
hen ihres linken Fußes zu verbergen. Es war, als
sollte in solchen ersten, seltenen Stunden ihrer Ver-
bindung, recht im Gegensatz zu all ihrem früheren
Leben, die Intimität ihrer Liebe keine Grenzen ken-
nen.
Die Begrüßung war zärtlich und stil gewesen; erst
allmählich kam wieder die ungestüme Leidenschaft
des vergangenen Abends über sie. Sie wiederholten
sich die Liebesworte, die sie für einander gefunden,
und belebten mit halben Worten die süßen, erst so
frischen Erinnerungen. Ein weiter, vor den Kamin
geschobener Sessel hatte sie Beide aufgenommen. Zu
dem engen Beisammensein teilten sich ihre Körper
die Wärme gegenseitig mit, die sie von dem zu ihren
Füßen flackernden Feuer erhielten. Zugleich schien
diese Flamme sie wecken und beleben zu wollen mit
ihren über sie hinhuschenden, spielenden und lok-
kenden Reflexen, die Wellkamp mit seinem Finger
liebkosend auf den Händen der Geliebten verfolgte.
Dann riß er sie wieder mit sich in einem jener plötz-
lichen, wilden Anfälle, die sie in seiner nervösen,
springenden Natur vorausgeahnt, und die sie den-
noch in dieser ersten Nacht so unbeschreiblich süß
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erschreckt hatten. Bevor sie sich jedoch seinem
Drängen ganz überließ, fand sie einen Augenblick
zu einer von dem leidenschaftlich Erregten kaum be-
merkten, wunderlichen Bewegung. Sie hatte kurz
das Haupt erhoben, den Blick nach oben gerichtet,
und zwischen ihren wie inbrünstig halb geöffneten
Lippen hervor drang ein kaum hörbarer Ausruf, ein
»O Gott!«, das als ein Dankgebet und als ein Flehen
um Verzeihung gedeutet werden konnte, und das
vielleicht beides in einem war.
Als er sie endlich frei gelassen, entfuhr diesen sel-
ben Lippen ein seltsam klirrendes Lachen, wie wenn
zwei Messer in schneller Wiederholung leise aufein-
ander stießen. Sie hatte solche überraschende Um-
schläge ihrer Stimmung, die vielleicht ihr Instinkt
nach der seinigen zu richten wußte. Jedenfalls fand
sie genau den rechten Ton und Ausdruck wie eben
jetzt den, womit sie ihr Gesicht, das ein wenig Farbe
bekommen, dem seinen ganz nahe brachte. So hatte
sie die Genugthuung, den schlaffen Zug, der augen-
blicklich darin lag, und die kleinen, seine Augenlider
zusammenziehenden Falten, welche den Blick plötz-
lich so nüchtern erscheinen ließen, sogleich wieder
verschwinden zu sehen. Sie lachte noch einmal, und
wie zuerst ihren Schreckensausruf, so nahmen jetzt
seine Lippen dieses Lachen von den ihren fort. Er
liebte an Dora diese Unberechenbarkeit der Stim-
mungen, die ihn nie von einem Zustand, in den sie
ihn versetzt, sich völlig erholen, nie ganz zur Besin-
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nung kommen ließ. Sein Durst nach wechselnden,
flüchtigen und doch starken Eindrücken hatte im
Verkehr mit ihr Nahrung erhalten, und es ließ ihn
mit einer Art nachsichtigen Mitleids lächeln, als ihm
jene Frage Annas, die sie während der ersten, ver-
trauten Aussprache an ihn richtete, einfiel, ob er
denn eine Frau lieben könnte, die er nicht verstände?
War doch eben das Fremde, Unbegreifliche in dieser
Frau ein Bestandteil der großen Anziehungskraft,
die sie auf ihn ausübte. Unter diesem Eindruck
schien ihm der Grund, weshalb die Intimität mit
seiner Gattin ihn auf die Dauer nicht befriedigt
hatte, vorwiegend in der übergroßen Einfachheit ih-
rer Natur zu liegen. Es blieb in Annas Seele zu wenig
Unausgesprochenes, nicht Offenkundiges zurück,
und wenn es Verborgenes darin gab – und welche
Frau hätte nicht den, vielleicht ihr selbst unbekann-
ten Instinkt, von dem Reize des Rätselhaften auch
für den vertrautesten Geliebten stets etwas zurück-
zuhalten! – So war es doch nicht der Art, seine Phan-
tasie dauernd zu beschäftigen.
Jenes seltsame Mitleid, das sich hier zuerst deutlich
geregt, überwog während der ersten Zeit seines
neuen Glücks in Wellkamps Gefühlen für Anna. Es
kam ordentlich warm über ihn, als er sie beim Früh-
stück so still ihres Hausfrauenamtes walten sah. Die
Erinnerung, wie inbrünstig er gestern Abend jene
andere Hand geküßt, die ihm den Thee gereicht,
schien ihm etwas wie einen traurigen Schatten über
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die Gestalt der ernsten jungen Frau zu legen. Er hätte
sie gern sein Glück teilen sehen: es war unbegreiflich,
wie der Egoismus der
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