In einer Familie
glücklichen Liebe für jetzt je-
des Schuldgefühl von ihm ausschloß. Dora, welche
der Major wegen ihres frischen Aussehens belobte –
»Du solltest noch viel fleißiger Musik treiben, nun
Du weißt, wie gut sie Dir thut«, sagte er –, trium-
phierte heimlich über die ahnungslose Feindin, in de-
ren Täuschung ihr Geliebter, wie ihr schien, sehr viel
Geschicklichkeit setzte. Doch war die Unterhaltung
Wellkamps, welche sie so auslegte, durchaus aufrich-
tig. Auch sah Anna in den Aufmerksamkeiten, die
ihr Gatte ihr seit langem nicht so in alter Weise ge-
widmet hatte, nicht anderes als das Bestreben, den
unfreundlichen Vorfal des gestrigen Tages vergessen
zu machen, das sie ihrerseits von Herzen erwiderte.
Ihr Gespräch ward mehr und mehr vertraulich, zu-
weilen selbst von einer scherzenden Vertraulichkeit.
»Magst Du mich heute Nachmittag auf einem
Ausgange begleiten?« fragte Anna.
Er nahm eifrig an.
»Es kommt mir sehr gelegen, feurige Kohlen auf
Dein Haupt sammeln zu können, nachdem Du uns
gestern Deine Begleitung in die Oper abgeschlagen
hast. Aber es ist wahr, daß für meine ernsthafte Frau
die Musik von gestern Abend nicht gemacht worden
ist.«
Dora, die die letzten Worte für eine leichte, frivole
Anspielung nahm, blickte unter einem kleinen bos-
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haften Vergnügen errötend vor sich nieder, während
Anna ruhig fortfuhr:
»Es handelt sich nämlich um die Gründung eines
Mädchengymnasiums, nach Schweizer Muster,
weißt Du. Eine ehemalige Bekannte hat mich zur er-
sten Zusammenkunft des Komitees aufgefordert,
dem ihr Mann angehört. Es ist natürlich ein Privat-
unternehmen. Der Staat kümmert sich ja nicht um
uns«, setzte sie mit naiver Geringschätzung hinzu.
Wellkamp wurde dadurch belustigt.
»Das mag interessant genug werden,« sagte er,
»euch Emanzipierte einmal unter euch zu sehen.«
Zur bestimmten Zeit stellte er sich bei ihr ein und
fand sie mit der Beendigung ihrer Toilette beschäf-
tigt. Er prüfte letztere, während er im Rücken der
jungen Frau, auf dem Divan sitzend, seine Hand-
schuhe glättete. Sie fragte über den Sitz des schlich-
ten dunkeln Rockes um seinen Rat, und indes er
seine Meinung ausprach, war ihm zu Mute, wie
wenn er zu einer vertrauten Schwester redete, von
der ihn kein Geheimnis trennte. Er mußte, als sie zu-
sammen das Zimmer verließen, sich besinnen, um
nicht von seinem Glücke zur ihr zu reden, so groß
war die moralische Verwirrung seines neuen Zustan-
des. Der Traum seiner Liebe vereinigte alles rings-
umher für ihn zu einem harmonischen Ganzen, in
welchem Freundschaft und Vertrauen an seinem
Glücke freundlich teilnahmen, und worin Täu-
schung, Mißtrauen und Schuld sich nicht fanden.
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Diese seine Gefühle sollten sich nur allzu schnell än-
dern. Man hätte sogar meinen sollen, es sei für den
Stand seines Verhältnisses zu Dora bezeichnend, wie
Wellkamp sich in seinem Benehmen und seinen Ge-
sinnungen zu seiner Gattin verhalte. Sicherlich hätte
daher die schnelle und traurige Entwicklung jenes
Verhältnisses ihn noch ungleich mehr niedergeschla-
gen, wenn er bei der Art, wie er bald darauf Anna ge-
genüberstand, sich der Freundlichkeit erinnert hätte,
die noch vor wenig Wochen zwischen ihnen ge-
herrscht. Er gab frühzeitig der Neigung nach, die in
den Beziehungen mit seiner Geliebten aufgetauch-
ten Schatten dadurch auszugleichen, daß er sich in
offenen Gegensatz zu ihrer Feindin stellte. In dem
Maße, wie die Bande zwischen ihnen sich lockerten,
suchten und fanden die beiden Schuldigen eine neue
und vielleicht letzte Zusammengehörigkeit in der
gemeinsamen Abneigung gegen die von ihnen betro-
gene Frau. Das beifällige Aufleuchten von Doras
Blick machte Wellkamp Mut zu den Demütigungen
und selbst Gehässigkeiten, zu denen sich seine üble
Laune gegen Anna allmählich steigerte.
Einmal in eine solche Feindseligkeit eingelebt,
wobei ihn seine gewohnten sophistischen Ausle-
gungen nur zu wohl unterstützten, war es ihm ein
Leichtes, sie auch auf den Vater seiner Gattin auszu-
dehnen, der zugleich der Mann seiner Geliebten war.
Die bisher in ihm niedergehaltene, wilde und para-
doxe Eifersucht des Liebhabers auf den Gatten ward
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jetzt erregt, wie er sie auch immer vor sich selbst ver-
leugnen mochte. Sie war da und blieb da mit der gan-
zen Unlogik einer Leidenschaft, und sie ward nicht
dadurch erträglicher, daß er ihr bei den besonderen
Umständen, die
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