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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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gerichtet
    fühlte, er nicht hätte ertragen können. Was war denn
    er ihr, und welche Pflichten hatte sie gegen ihn? War
    er ihr nicht von jeher Alles schuldig geblieben, was
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    er ihr verdankte? Die besonderen unglücklichen
    Umstände, unter denen sich ihr Eheleben entwik-
    kelt, hatten in Herrn v. Grubeck ein für allemal ein
    Schuldbewußtsein befestigt, das ihm jedes Gefühl
    seiner Autorität, ja nahezu jeden Glauben an seine
    Rechte benahm. Wie hätte er wagen dürfen, seine
    Gattin zur Verantwortung zu ziehen, da vielmehr sie
    von ihm Rechenschaft fordern konnte!
    Diese Idee, daß einzig durch die Verhältnisse, für
    die er sich selbst alle Schuld beimaß, Dora aus der
    rechten, alltäglichen Bahn fortgedrängt, ließ ihm in
    natürlicher Folge auch die Schuld Wellkamps gerin-
    ger erscheinen. In seiner qualvollen Mutlosigkeit,
    die durch jahrelanges Verbleiben in einer falschen,
    sein ritterliches Gewissen bedrückenden Lage ge-
    nährt war, fand er eine traurige Befriedigung darin,
    den Verführer seiner Gattin zu entschuldigen. Die
    Aussicht ward ihm immer unwahrscheinlicher, vor
    den Beleidiger seiner Hausehre, so wie es seine Ver-
    gangenheit erfordert hätte, hinzutreten. Gab es für
    ihn eine Hausehre wie für einen Andern, und durfte
    er Richter über sie sein?
    In solchen Gedanken fühlte er sich in seinem
    Hause weniger als jemals heimisch. Die gereizte
    Stimmung, die man an ihm wahrgenommen, verbarg
    seine vollständige Mutlosigkeit, die in einen endgil-
    tigen Verfal seines Wil ens überzugehen schien. Von
    der schmachvollen Gewohnheit des Spionierens
    hatte er sich nicht mehr loszumachen vermocht. So-
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    bald er sich ungestört wußte, verbrachte er als Lau-
    scher an den Thüren Stunden der schmerzlichsten
    Selbsterniedrigung. Er ward gehetzt, vielleicht nicht
    weniger als die Schuldigen selbst es in jener Zeit wa-
    ren, von der Angst, es könne das Verhältnis eine un-
    erwartete, noch gefährlichere Wendung nehmen.
    Und es war nochmals die seltsame und grausame
    Ironie, die ihn, den Betrogenen und Geschädigten,
    gleichsam zum Mitschuldigen gemacht, daß er am
    Ende die gleiche Erleichterung wie Wellkamp in je-
    ner scheinbaren Lösung der furchtbaren Situation
    fand, die Annas Entschluß, abzureisen, brachte. Er
    zählte bis dahin die Tage, fortwährend davor zit-
    ternd, daß der ruhige Verlauf der Dinge dennoch zu-
    letzt durch irgend ein gewaltsames Ereignis unter-
    brochen werden könnte. Indes hatte er die größte
    Gefahr, eine endliche Entdeckung des Geheimnisses
    durch Anna, kaum vorgesehen. Die harten Kämpfe
    um seinen eigenen innern Frieden hatten eine Zeit
    lang das Interesse für die unschuldige Ruhe seiner
    Tochter verdrängt. Um so unumwundener trat dage-
    gen dieses letztere in den Vordergrund, als er am
    heutigen Morgen Anna ins Zimmer stürzen und auf
    sich zueilen sah, mit einem Gesicht, dessen Züge von
    einer plötzlichen schweren Erfahrung gespannt und
    beinahe großer geworden erschienen, und mit
    Augen, denen ein neues, furchtbares Wissen einen
    unbekannten Ausdruck gab.
    Alles was es in Herrn v. Grubecks Natur an natür-
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    lich väterlichen und an edel männlichen Instinkten
    gab, ward beim Anblick seiner Tochter aufs lebhaf-
    teste erregt. Er hatte in dieser Minute sämtliche
    Skrupel, Zweifel, Widersprüche, die ihn seit langen
    Wochen zu jeglicher Willensäußerung untauglich
    gemacht, besiegt, und all sein Denken und Empfin-
    den war einzig auf die Verteidigung seines Kindes
    gerichtet. Er war ihr natürlicher Beschützer, und
    man hatte sie zu kränken gewagt; dadurch hatte sich
    unvermutet Alles gelöst. Seine nunmehr auf ein fe-
    stes Ziel gerichtete, innerliche Energie verlieh ihm
    eine kaum jemals besessene Macht über die so eigen-
    mächtige Natur Annas. Er vermochte sie mit weni-
    gen Worten und Liebkosungen zur Besinnung zu
    rufen, und sie gehorchte seiner Ermahnung, ihn ru-
    hig zu erwarten, während er ihre Sache in Ordnung
    brächte. Sein Entschluß war gefaßt; dies verlieh sei-
    nem Auftreten eine gewisse Kürze und Entschie-
    denheit, die Wellkamp dennoch ein wenig stutzig
    machte. Im übrigen fragte dieser nach der stattge-
    habten Szene mit Dora kaum noch nach einer Aus-
    sprache mit ihrem Gatten; die Überreizung, in der er
    sich befand, war unmöglich noch zu steigern. Aus
    Doras Zimmer, wo er sie in völliger Vernichtung,
    vom Sessel auf die Kniee niedergesunken, zurückge-
    lassen, ins Vorzimmer getreten, traf er hier mit

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