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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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des
    Einsatzes gedacht hätte, dessen er nun verlustig ge-
    hen sollte. Hatte er denn wirklich um Leben und
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    Tod gespielt? In Wahrheit kam bei dieser Frage To-
    desangst über ihn, und diese war der Boden, aus dem
    sich zum erstenmale eine große, von al en sie umrin-
    genden Umständen losgelöst mächtige Liebe zu sei-
    ner Gattin in ihm erhob.
    Indessen stand er, den Kopf wie unter Nacken-
    schlägen geneigt, ohne zu wagen, den Blick, den er
    bei den ersten Worten seines Schwiegervaters ge-
    senkt, wieder zu erheben. Während kalter Schweiß
    auf seine Stirn trat, hörte er den Andern mit hartem,
    nun trocken und wie geschäftsmäßig gewordenen
    Tone die Bestätigung dessen aussprechen, was er am
    meisten fürchtete.
    »Ich denke«, fuhr der Major fort, »daß eine sofor-
    tige Trennung Ihnen jetzt ebenso erwünscht sein
    wird, wie mir. Ich glaube leider, daß meine Tochter
    sich nur dann beruhigen wird, wenn Ihre Abwesen-
    heit eine definitive ist. Um sie also beschleunigen zu
    können, werden wir von einer plötzlichen Krisis in
    Ihrem Befinden sprechen. Unsere Angelegenheiten
    dürften sich brieflich am besten ordnen lassen. Wenn
    Sie in eine Scheidung willigen, so stimmen wir hof-
    fentlich darin überein, sie wenigstens ein halbes Jahr
    hinauszuschieben. Es kommt darauf an, Alles mög-
    lichst unauffällig einzuleiten. – Also Sie reisen?«
    »Ich werde reisen«, sagte Wellkamp ganz leise,
    doch noch immer mit der schwachen, gleichsam eine
    letzte Bestätigung erwartenden Frage im Ton seiner
    Stimme. Wie eine Antwort hörte er im gleichen
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    Augenblick Anna, welche unbemerkt die Thür ge-
    öffnet, sagen:
    »Du wirst reisen, aber nicht ohne mich.«
    Die beiden Männer starrten sie an wie eine Er-
    scheinung. Den Einen von ihnen enttäuschte sie über
    seine ganze Auffassung der Dinge, brachte seine Fe-
    stigkeit zugleich mit dem Ziele ins Wanken, auf das
    sie gerichtet gewesen; dem Andern kam sie unver-
    hofft zurück, nachdem er sie in diesen bangen Minu-
    ten schon lange, so lange verloren zu haben gemeint.
    Während Herr v. Grubeck, ohne ein Wort des Wi-
    derspruchs, mit unmerklich schwankender Haltung
    ans Fenster trat, an das er sich, dem Zimmer den Rük-
    ken gewandt, lehnte, war Wellkamp ohne einen Ge-
    danken, wie unter der Gewalt des Schicksals, auf die
    Kniee gesunken. Er verstand nichts mehr. Jenes erste
    Mal, als er, wie jetzt wieder, ihre Hand mit seinen
    Thränen benetzte, hatte er, im Spiel seiner Phantasie,
    sie mit seiner halben Hingebung zurückzugewinnen
    geglaubt. Heute fand er für das, was geschah, keine
    Erklärung in sich selbst. Damals hatte Anna ihn nicht
    begreifen können, da er sie täuschte; er dagegen be-
    griff sie heute nicht, weil sie ganz aufrichtig war.
    »Nicht ohne mich!« wiederholte sie fast bittend.
    »Du hast mir viel, viel Leid zugefügt. Aber ich
    fürchte, Dir selbst fast noch mehr. Ich glaube – heute
    Morgen gehört zu haben, daß Du unglücklich bist.
    Wenn wir es also Beide sind, könnten wir dann nicht
    zusammen auch wieder glücklich werden?«
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    Wie der Klang ihrer Worte, so war das Gesicht der
    jungen Frau sehr ruhig, vielleicht noch klarer, in ir-
    gend welcher Weise freier. Es schien etwas wie der
    Schatten eines kleinen, geistigen Hochmuts von ih-
    rer Stirn genommen. Die letzten Erfahrungen, die
    sie in ihrem Stolze ebensosehr enttäuscht, wie sie ihr
    Herz verwundet hatten, schienen sie sanfter, ihre
    Empfindung weicher gemacht und ihr ein schönes
    Verständnis für menschliche Schuld und mensch-
    liches Leid geschenkt zu haben.
    Wie hätte sie früher Verständnis für die Schuld
    Anderer besitzen sollen, da sie Niemandens Schuld
    kannte. Sie hatte noch wie ein Kind Alles mit den
    Augen ihrer Sympathien und Antipathien angese-
    hen, und so hatte sie von dem, was ihren Gatten seit
    so langer Zeit von ihr trennte, nichts ahnen können.
    Es gibt solche Naturen, die nicht überragend groß –
    denn zur Größe gehört auch das Verständnis der
    Schuld und viel eicht die Schuld selbst – aber rein ge-
    nug sind, eine noch so geheime Verdächtigung des
    geliebten Gegenstandes als eine Beschimpfung ihres
    innersten Heiligtumes und ihrer selbst zu empfin-
    den. Man führe sie dicht an das vor ihnen, in ihrem
    intimsten Kreise aufgerollte Problem der Schuld
    heran, so werden sie es übersehen. Man öffne ihnen
    mit Gewalt die Augen, so werden sie mehr ihrem
    Gefühl als ihren Augen glauben. Das Geständnis
    endlich des Schuldigen selbst wird

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