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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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wi-
    derstehen?« brachte er dann mühsam hervor.
    »Aber ich wil Dir zeigen, wer Du bist und was ich
    aus Dir machen kann, sobald ich will. Dein Mann
    wird Alles erfahren!«
    Er hatte die unsinnige Drohung, die er niemals
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    hätte verwirklichen können, ausgestoßen, so wie er
    einem Feinde einen ungeladenen Revolver entgegen-
    gehalten hätte. Er verweilte jedoch sogleich dabei, als
    er die Wirkung bemerkte, die seine Worte auf die
    bisher bewegungslos Gebliebene ausübten. Dora
    war womöglich noch bleicher als er geworden; einen
    Arm, welcher bebte, streckte sie wie flehend gegen
    ihn aus, um ihn sofort wieder zurückzuziehen, ent-
    mutigt unter der Furchtbarkeit seiner Worte. Jedes
    von ihnen verursachte ihr eiskalte Fieberschauer der
    Furcht, der unsäglichen Furcht vor den Folgen eines
    Schrittes, wie er ihn in Aussicht stellte.
    Und er fuhr fort, doch nun ohne erregte Zufällig-
    keiten, mit kalter Bosheit seine Sätze überlegend
    und immer dasselbe wiederholend, wie wenn er in
    einer glücklich entdeckten wunden Stel e immer aufs
    neue das Geschoß herumwendete. Er sagte al es, was
    der seine Stellung mißbrauchende, umbarmherzige
    Mann zu sagen hat und was stets darauf hinauslief,
    sie als Frau wisse am besten, daß sie al ein die Folgen
    zu tragen haben werde.
    »Für mich ist dies ein Abenteuer wie ein anderes
    gewesen, für Dich dagegen ist es das Ende.«
    Er wußte nicht, wie sehr er wenigstens mit diesen
    letzten Worten recht hatte.
    Sie hörte ihn an, je nachdem sie der Klang seiner
    Stimme in einem wilden Flüstern oder in lautem,
    rücksichtslosem Schreien traf, entsetzt und furcht-
    sam auffahrend oder ganz in ihren Sessel zusam-
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    mensinkend, während ihre Lippen nichts hervor-
    brachten als ein tonloses, ganz leises: »Ich bitte
    Dich, ich bitte Dich –«
    Die Grausamkeit des Auftritts wäre nicht voll-
    ständig gewesen, wenn nicht in ihnen Beiden, wäh-
    rend sie sich so, Opfer und Peiniger, in die Augen sa-
    hen, das namenlose Bewußtsein sich geregt hätte,
    daß sie hier das Nachspiel zu dem aufführten, was
    einstmals ihre Liebe gewesen.
    Aber diese unschönen Todesschreie eines Ver-
    hältnisses, das nie hätte leben sollen, trafen das Ohr
    einer Frau, welche nicht die Erfahrung besaß, die
    berechtigt hätte sie zu hören, und welche, an das
    Leben in hoher reiner Luft gewöhnt, hier unvermu-
    tet in einen Abgrund blickte, dessen dumpfer, ver-
    pesteter Hauch sie zu ersticken drohte. Anna hielt
    sich schwindelnd an dem Pfosten der nur flüchtig
    zugeworfenen Thür, unfähig einen Schritt vor-
    oder rückwärts zu thun. Sie hatte sich nicht, wie
    Wellkamp in seiner Ungeduld angenommen, schon
    in Begleitung ihres Vaters zum Ausritt entfernt. Sie
    war nur, um nach den Pferden zu sehen, hinabge-
    stiegen, während Herr v. Grubeck seine Toilette
    vollendete. Zurückgekehrt, hatte sie ihren Gatten
    einen Dienstboten schelten zu hören gemeint, wo-
    bei sie zwar überrascht war, daß seine laute ange-
    strengte Stimme aus Doras Boudoir hervorging.
    Ihre Hand, welche schon auf dem Thürgriff lag,
    war plötzlich, wie bei der Berührung eines glühen-
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    den Gegenstandes, wieder zurückgefahren, als ihr
    einige der gesprochenen Worte verständlich wur-
    den. Im selben Augenblick war schon keine Kom-
    bination, keine Vermutung mehr nötig und kein
    Zweifel, keine Hoffnung möglich: was sie vernahm,
    war zu nackt, zu hart, zu vernichtend. Da sie eine
    Minute lang nur das Flehen Doras hörte, das nicht
    mehr von Wellkamps Stimme verdeckt wurde,
    nahm sie, von wilder Furcht, überrascht zu werden,
    erfaßt, ihre letzen Kräfte zusammen, um zu flüch-
    ten. Ohne Überlegung, ohne bestimmte Absicht,
    nur um dem fürchterlichen Tonfall der Worte, der
    ihr noch immer, nun sie die Worte selbst nicht mehr
    vernahm, gleich Schlägen aufs Haupt fiel, zu entge-
    hen, eilte sie in das Zimmer ihres Vaters. In dieser
    Stunde, da sie die jugendliche, frühreife Überlegen-
    heit ihres Geistes so jäh beschämt und getäuscht
    fühlte, und da so unbekannte, ungeheuerliche Er-
    fahrungen über ihr Herz hereinbrachen, ward sie
    wieder Kind, ohne Herrschaft über Andere, noch
    weniger über sich selbst, und mit dem unsäglichen,
    Alles überflutenden Bedürfnisse, in die Arme ge-
    nommen und getröstet zu werden.
    Sie war im Unglück glücklich genug, die Arme, die
    sie suchte, sogleich voll Verständnis geöffnet zu fin-
    den. Es war abermals eine Demütigung, aber eine
    süße, ihre Hingebung

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