In einer Familie
dem
Major zusammen, dem er auf ein kurzes Wort hin
mechanisch folgte, als handelte es sich um die gleich-
gültigste Angelegenheit. Thatsache war, daß er, so
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schmerzlich es ihm stets gewesen, seine Frau zu hin-
tergehen, des Gatten seiner Geliebten in dieser Be-
ziehung niemals besonders gedacht. Er war auch
jetzt weit entfernt, seine Schuld ihm gegenüber
drückend zu empfinden. Es lag dem nichts anderes
als das stumme Achselzucken zu Grunde, mit dem
der Geliebte jedesmal dem Gatten gegenübersteht:
»Warum hast Du Dein Eigentum nicht besser be-
wahrt?« Auch hier verleugnete sich nicht die, dort
wo es unter Männern zur Entscheidung kommt,
stets zu Tage tretende, brutale Auffassung des Wei-
bes als Beute, die man sich gegenseitig abjagt. Das ist
ehrlicher Kampf, und die Forderung, welche in den
günstigeren Fäl en folgt, setzt diesen Kampf nur von
der anderen Seite fort.
Diese instinktive Auffassung der Sachlage mochte
es sein, in der Wellkamp, als sie im Speisezimmer,
wohin ihn der Major, um möglichst unbelauscht zu
bleiben, geführt hatte, einander gegenüberstanden,
sogleich das Wort nahm: »Natürlich bin ich zu jeder
Genugthuung bereit«, sagte er einfach.
»Genugthuung?« fragte Herr v. Grubeck mit
einer flüchtigen Betonung, als handelte es sich um
etwas, daran er bisher nicht gedacht und das er so-
gleich zurückzuweisen gedenke.
»Genugthuung?« wiederholte er. »Was verstehen
Sie darunter? – Ist Ihnen die Lage der Angelegenheit
so wenig gegenwärtig, daß Sie meinen, Al es, was Sie
bisher zerstört haben, mit ein paar Pistolenschüssen
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wieder herstellen zu können? Das Duell ist geschaf-
fen für Leute, die eine gute Sache zu verteidigen
glauben. Von alle dem, was ich während der ganzen
Zeit, da ich von dem Geschehenen unterrichtet war,
von meiner Gewissensruhe geopfert habe, würde ich
nichts zurückerhalten, wenn ich Sie jetzt nachträg-
lich über den Haufen schösse. Oder sollte ich mein
Kind, das ich dort drüben so zurückgelassen habe,
daß Sie es nicht wiedererkennen würden, von Ihnen,
der ihr Alles genommen hat, auch noch der letzten
Stütze, des Vaters, berauben lassen? Und wünschen
Sie, der an dem Unglück schuld – aber viel eicht sind
weder Sie noch Ihre Mitschuldige al ein schuld daran
– doch gleichviel, wünschen Sie unsere Schande zu
offenbaren, Zeugen zu suchen, die Öffentlichkeit
dafür zu interessieren? Nein, mein Lieber, die Ange-
legenheit hat ja ganz unter uns gespielt, in der Fami-
lie; machen wir also auch die Abrechnung unter uns
ab …«
Der Major holte tief Atem. Seine Brust erschien
nichts weniger als eingefallen, er hatte sich straff auf-
gerichtet und blickte auf Wellkamp wie auf einen
Untergebenen herab. Seine Sprache war gleichfalls
von einer längst verlorenen Festigkeit. Er hatte harte
und zum Schlusse ironische Töne gefunden, und nur
einmal, als er seine eigene Mitschuld andeutete, war
seine Stimme leiser und stockender geworden.
Wellkamp war von Auftreten und Sprache seines
Schwiegervaters anfangs überrascht, dann beunru-
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higt und endlich besiegt. Er ward plötzlich gewahr,
daß er al es geschehene Unglück stets nur unter dem
Gesichtswinkel seines eigenen Leidens betrachtet.
Es hatte ihn gepeinigt, in einer durchseuchten At-
mosphäre zu leben, in der er von seinen Leiden-
schaften mehr und mehr beschmutzt und erniedrigt
ward, darum hatte er sich aufgebäumt. Der Ge-
danke, daß er an Andern Unrecht verübte, hatte ihm
Gewissensbisse verursacht, und auf eben diese seine
eigenen Schmerzen beschränkte sich sein Gefühl. Er
hatte sich das Leid der Andern vorgeworfen, aber
niemals hatte er es sich so wie jetzt während der An-
rede des alten Mannes, so nahe, so körperlich wirk-
lich vorgestellt. Wann thäten wir übrigens dies je-
mals?
Mehr als alles andere hatte den Schuldigen die Er-
wähnung Annas tief erschreckt. Der Gedanke, daß
sie nun wirklich Alles wisse, war ihm von einer selt-
samen Unbegreiflichkeit, wie uns wohl Ereignisse
ganz unvorbereitet treffen, die wir längst hätten vor-
aussehen können. Es konnte nicht wahr sein, denn es
wäre zu furchtbar gewesen. So groß seine Schuld
sein mochte, die Strafe, sie zu verlieren, war dennoch
übermäßig schwer. Angesichts dieses Gedankens
war er nahe daran, al es Geschehene als ein leichtsin-
niges Spiel zu betrachten, das er kaum ernstgenom-
men, und das er jedenfalls unterlassen, wenn er
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