In einer Familie
Über-
gang zum Matronenalter alles so lange Bezwungene
und Verleugnete an Lebenswillen und -begierde
beim ersten Anlaß hervorbrechen ließ.
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Natürlich war es dem Gatten dennoch unmöglich,
sich bei seiner vermeintlichen Erkenntnis ihres Cha-
rakters zu beruhigen. Der Zweifel, der scheinbar
eine bewußte Arbeit unserer Seele darstellt, senkt
sich vielmehr so heimlich in ihren Grund, daß er ge-
rade in den Augenblicken, wo wir ihn am aufrichtig-
sten leugnen, sein schlimmstes Werk thut. Wenn
Herr v. Grubeck sich heute für sein ihn selbst be-
schämendes Mißtrauen gescholten, so war er mor-
gen um so scharfsichtiger geworden. Denn es waren
nicht leere Vermutungen, mit denen er dem, was sich
vor seinen Augen entwickelte, zusah. Einmal auf-
merksam geworden, erhielt er überraschend schnell
die Eigenschaften zurück, welche nach dem Austritt
aus seinem ehemaligen Lebenskreise aus Mangel an
Verwendung in ihm eingeschlafen waren. Es er-
wachte in ihm der alte Kavalier, der, an Medisance
und gesellschaftlicher Beobachtung geübt, den
Kampf der Geschlechter instinktiv für das Feld
nimmt, auf dem sich alles um ihn her Vorgehende
abspielt, und auf das er al e Lebensäußerungen ohne
weiteres zurückführt. In dem Maße, wie diese Nei-
gung nun wieder in ihm erstarkte, erschien es ihm
unnatürlicher und thörichter, die Schuld der beiden
jungen Leute noch in Zweifel zu stellen, und um so
weniger vermochte er dem Triebe, sich völlige Ge-
wißheit zu verschaffen, zu widerstehen.
Die heftigsten inneren Kämpfe waren für ihn die-
jenigen gewesen, in denen er die Skrupel zu unter-
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drücken hatte, welche ihn von der Spionage zurück-
hielten. Wie viel er unter den traurigen Umständen
seiner Ehe von seinen ritterlichen Ehrbegriffen ge-
opfert haben mochte, so waren sie in diesem Punkte
bisher unangetastet geblieben. Noch mehr dieser-
halb als aus Furcht vor dem Erfolge hatte er den end-
lich beschlossenen entscheidenden Schritt mit dem
Herzklopfen eines Jünglings gethan. Eines Morgens
hatte er Unwohlsein vorgegeben, um sich der Beglei-
tung seiner Tochter auf ihrem Spazierritte zu entzie-
hen. Ihrer Sorglichkeit war er verdrießlich und selbst
schroff genug begegnet, um sie für den Augenblick
von sich abzustoßen. Sie hatte sich allein entfernt,
und er hatte ihre Abwesenheit benutzt, um seine
Vermutung der morgendlichen Zusammenkünfte
endlich zu bestätigen. Nach den ersten Worten, die
er vernommen, war die Scham, mit der er hinter die
Thür getreten, vernichtet von der jähen, maßlosen
Wut, in die eine mit einer gewissen Grundlage von
Ungestüm ausgestattete Natur auch nach der läng-
sten Vorbereitung durch solche Gewißheit versetzt
werden wird. Er hatte eine Bewegung von solcher
Heftigkeit gemacht, daß die beiden im Zimmer Be-
findlichen sie bei einer weniger erregten Unterhal-
tung hätten bemerken müssen. Doch ließ er den
Thürgriff sofort wieder fahren; in sein wütendes,
rücksichtsloses Begehren nach Rache, das sich be-
reits nicht anders als in einer äußersten Gewaltsam-
keit befriedigen zu können schien, war unvermutet
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der Gedanke an seine Tochter geglitten. Was sollte
aus Anna werden, wenn sie dieser Schlag traf, so
fragte er sich in einer tiefen Ratlosigkeit. Sollte er,
ihr Vater, es sein, der ihr die Illusionen entrisse, in
denen sie zweifellos befangen war? Galt es nicht viel
besser, sie in ihnen fortleben zu lassen, so lange wie
möglich? Vielleicht nahm ohnehin Alles bald ein
Ende, ohne daß sie jemals nötig haben würde, etwas
davon zu erfahren. Er erinnerte sich ähnlicher Fälle
aus seinem ehemaligen Bekanntenkreise. Zwar war
andererseits die Möglichkeit vorhanden, an die er
nur mit Grauen dachte, daß sie das langsame Groß-
werden des Verdachtes, noch unsäglich schmerzvol-
ler als er selbst, an sich erführe. Aber wenigstens
konnte Alles ein gutes Ende nehmen.
Es ist wahr, daß er in diese Berechnung, der im
Augenblicke ihres Entstehens nur die zärtliche
Rücksicht auf seine Tochter zu Grunde lag, bald
auch sein eigenes Interesse einschob. Einmal wieder
in der Einsamkeit seines Zimmers, wurde ihm die
soeben empfundene Regung seines Willens zum
persönlichen Eingreifen mit jeder Minute unbegreif-
licher. Er schrak bei dem Gedanken zusammen, daß
er jenem ersten Antrieb hätte folgen können. Dann
hätte er jetzt vor seiner Gattin gestanden, deren
Blick, den er fremd und hochmütig auf sich
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