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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Über-
    gang zum Matronenalter alles so lange Bezwungene
    und Verleugnete an Lebenswillen und -begierde
    beim ersten Anlaß hervorbrechen ließ.
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    Natürlich war es dem Gatten dennoch unmöglich,
    sich bei seiner vermeintlichen Erkenntnis ihres Cha-
    rakters zu beruhigen. Der Zweifel, der scheinbar
    eine bewußte Arbeit unserer Seele darstellt, senkt
    sich vielmehr so heimlich in ihren Grund, daß er ge-
    rade in den Augenblicken, wo wir ihn am aufrichtig-
    sten leugnen, sein schlimmstes Werk thut. Wenn
    Herr v. Grubeck sich heute für sein ihn selbst be-
    schämendes Mißtrauen gescholten, so war er mor-
    gen um so scharfsichtiger geworden. Denn es waren
    nicht leere Vermutungen, mit denen er dem, was sich
    vor seinen Augen entwickelte, zusah. Einmal auf-
    merksam geworden, erhielt er überraschend schnell
    die Eigenschaften zurück, welche nach dem Austritt
    aus seinem ehemaligen Lebenskreise aus Mangel an
    Verwendung in ihm eingeschlafen waren. Es er-
    wachte in ihm der alte Kavalier, der, an Medisance
    und gesellschaftlicher Beobachtung geübt, den
    Kampf der Geschlechter instinktiv für das Feld
    nimmt, auf dem sich alles um ihn her Vorgehende
    abspielt, und auf das er al e Lebensäußerungen ohne
    weiteres zurückführt. In dem Maße, wie diese Nei-
    gung nun wieder in ihm erstarkte, erschien es ihm
    unnatürlicher und thörichter, die Schuld der beiden
    jungen Leute noch in Zweifel zu stellen, und um so
    weniger vermochte er dem Triebe, sich völlige Ge-
    wißheit zu verschaffen, zu widerstehen.
    Die heftigsten inneren Kämpfe waren für ihn die-
    jenigen gewesen, in denen er die Skrupel zu unter-
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    drücken hatte, welche ihn von der Spionage zurück-
    hielten. Wie viel er unter den traurigen Umständen
    seiner Ehe von seinen ritterlichen Ehrbegriffen ge-
    opfert haben mochte, so waren sie in diesem Punkte
    bisher unangetastet geblieben. Noch mehr dieser-
    halb als aus Furcht vor dem Erfolge hatte er den end-
    lich beschlossenen entscheidenden Schritt mit dem
    Herzklopfen eines Jünglings gethan. Eines Morgens
    hatte er Unwohlsein vorgegeben, um sich der Beglei-
    tung seiner Tochter auf ihrem Spazierritte zu entzie-
    hen. Ihrer Sorglichkeit war er verdrießlich und selbst
    schroff genug begegnet, um sie für den Augenblick
    von sich abzustoßen. Sie hatte sich allein entfernt,
    und er hatte ihre Abwesenheit benutzt, um seine
    Vermutung der morgendlichen Zusammenkünfte
    endlich zu bestätigen. Nach den ersten Worten, die
    er vernommen, war die Scham, mit der er hinter die
    Thür getreten, vernichtet von der jähen, maßlosen
    Wut, in die eine mit einer gewissen Grundlage von
    Ungestüm ausgestattete Natur auch nach der läng-
    sten Vorbereitung durch solche Gewißheit versetzt
    werden wird. Er hatte eine Bewegung von solcher
    Heftigkeit gemacht, daß die beiden im Zimmer Be-
    findlichen sie bei einer weniger erregten Unterhal-
    tung hätten bemerken müssen. Doch ließ er den
    Thürgriff sofort wieder fahren; in sein wütendes,
    rücksichtsloses Begehren nach Rache, das sich be-
    reits nicht anders als in einer äußersten Gewaltsam-
    keit befriedigen zu können schien, war unvermutet
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    der Gedanke an seine Tochter geglitten. Was sollte
    aus Anna werden, wenn sie dieser Schlag traf, so
    fragte er sich in einer tiefen Ratlosigkeit. Sollte er,
    ihr Vater, es sein, der ihr die Illusionen entrisse, in
    denen sie zweifellos befangen war? Galt es nicht viel
    besser, sie in ihnen fortleben zu lassen, so lange wie
    möglich? Vielleicht nahm ohnehin Alles bald ein
    Ende, ohne daß sie jemals nötig haben würde, etwas
    davon zu erfahren. Er erinnerte sich ähnlicher Fälle
    aus seinem ehemaligen Bekanntenkreise. Zwar war
    andererseits die Möglichkeit vorhanden, an die er
    nur mit Grauen dachte, daß sie das langsame Groß-
    werden des Verdachtes, noch unsäglich schmerzvol-
    ler als er selbst, an sich erführe. Aber wenigstens
    konnte Alles ein gutes Ende nehmen.
    Es ist wahr, daß er in diese Berechnung, der im
    Augenblicke ihres Entstehens nur die zärtliche
    Rücksicht auf seine Tochter zu Grunde lag, bald
    auch sein eigenes Interesse einschob. Einmal wieder
    in der Einsamkeit seines Zimmers, wurde ihm die
    soeben empfundene Regung seines Willens zum
    persönlichen Eingreifen mit jeder Minute unbegreif-
    licher. Er schrak bei dem Gedanken zusammen, daß
    er jenem ersten Antrieb hätte folgen können. Dann
    hätte er jetzt vor seiner Gattin gestanden, deren
    Blick, den er fremd und hochmütig auf sich

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