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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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vervollständigende, wie sie ih-
    ren stil en alten Vater, den sie stets ein wenig auf sich
    gestützt zu fühlen gewohnt gewesen, und für den sie
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    Liebkosungen gehabt, welche denen einer Mutter
    ähnlicher als denjenigen eines Kindes waren, nun
    überlegen und gefaßt fand, wo sie selbst überrascht
    und ratlos war. In ihrer unbewußten Selbstsucht ei-
    nes verwundeten Kindes, das seine Umgebung mit
    nichts anderem als mit seinem eigenen Schmerz be-
    schäftigt glauben kann, kam ihr keinen Augenblick
    der Gedanke, was ihr Vater selbst gelitten haben
    müsse, wenn er alles Vorgefallene, das ihn selbst am
    schwersten kränkte, und das er vor ihr, seinem
    Kinde verheimlichen mußte, gekannt. Erst später,
    mehr gereift und imstande, das Zurückliegende mit
    Ruhe zu übersehen, sollte sie erkennen, mit einem
    wie glücklichen Temperament sie diese kritischen
    Zeiten durchschritten, da sie niemals dasjenige, des-
    sen Fehlen eben das Problematische, die Angst und
    die Verzweiflung aller an solchem Zustande Beteilig-
    ten ausmacht, nämlich die Gewißheit verloren. Wie
    hart und grausam der Schlag, den sie soeben erhal-
    ten, sein mochte, so war doch durch ihn die positive,
    innere Gewißheit, die die junge Frau bisher von der
    Treue ihres Gatten, von der Reinheit ihres ehelichen
    Verhältnisses und der Familie bewahrt, einfach in ihr
    Gegenteil verwandelt; und der unvermittelte Über-
    gang von einer Gewißheit zur andern hatte auf alle
    Fälle das Gute, ihr die langsam aufsteigenden Zwei-
    fel, den beschämenden Verdacht, kurz jene Leiden
    zu ersparen, welche der langwierige Todeskampf des
    Glaubens mit sich bringt. Dieser letztere aber war es,
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    welchen der alte Mann erlitten, der vor ihr neben
    dem Sopha kniete und ihre kalten Hände streichelte,
    mit denen sie ihr Gesicht bedeckt hatte, während sie
    leise weinte.
    Herr v. Grubeck hatte unmöglich wie seine Toch-
    ter ohne Ahnung bleiben können von dem, was um
    ihn her vorging, von der Heimlichkeit und dem Ver-
    rat, die ihn Tag und Nacht umgaben, die ihm ins
    Auge sahen und ihm die Hand drückten. Zwar hatte
    er die Täuschung dadurch erleichtert, daß er, so voll-
    ständig getrennt wie er von ihr zu leben gewohnt
    war, seiner Gattin nicht mehr als die unbedingt nö-
    tige Aufmerksamkeit widmete. Er kannte nicht ihre
    Beschäftigungen, kümmerte sich nicht um ihre Ta-
    geseinteilung, ihre Ausgänge und er sah sie kaum an-
    ders denn als einen Tischgast an, wenn er sie vor der
    Tafel wie nachher höflich begrüßte. So lange als die
    Schuldigen sich in seiner Gegenwart noch den
    Zwang wie in der ersten Zeit ihres Verhältnisses auf-
    erlegt, hatten sie von ihm nichts zu befürchten ge-
    habt. Die größere Vertraulichkeit Wellkamps mit
    Anna, durch die er während der Mahlzeiten zuwei-
    len überrascht ward, sowie Doras besseres, lebhafte-
    res Aussehen nahm er für Zeichen eines beginnen-
    den glücklicheren Verhältnisses im Leben der Fami-
    lie. Er glaubte endlich den von ihm so lange erhoff-
    ten Erfolg der Heirat seiner Tochter, den Einfluß,
    welchen der junge Haushalt auch auf die Stimmung
    seiner eigenen Ehe ausüben sollte, zu bemerken.
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    Seltsame Ironie, die ihn zu jener Zeit zufriedener
    und verhältnismäßig glücklicher sein ließ als vor-
    oder nachher.
    Indes traten jene Krisen ein, da die beiden von ih-
    rer Leidenschaft in Anspruch Genommenen zu sehr
    damit beschäftigt waren, sich gegenseitig leiden zu
    machen, um noch in Gegenwart des Gatten und Va-
    ters viel an Vorsicht und Selbstüberwindung zu den-
    ken oder sie auch nur für notwendig zu erachten.
    Damals war es, daß Herr v. Grubeck zum erstenmale
    aus einzelnen, zwischen seiner Gattin und seinem
    Schwiegersohn ausgetauschten, plötzlichen und hef-
    tigen Blicken und Gesten schloß, daß ein näheres
    Verhältnis unter ihnen bestehen müsse, als sie öf-
    fentlich zugaben. Immerhin war er weit entfernt, das
    Schlimmste zu befürchten. Wie sich ihm Dora von
    jeher gezeigt, mußte er sie al erdings für unfähig hal-
    ten, ihn zu betrügen. Er kannte nur nicht den Hin-
    tergrund ihrer Persönlichkeit, wußte nicht, unter
    welchen Prüfungen und Versuchungen sie die auf
    ihre Ruhe bedachte, zurückgezogen, fast strenge le-
    bende Frau geworden war, als die er sie kannte. Er
    ahnte nichts von der Größe der Leidenschaftlichkeit,
    welche sie von Hause aus in sich zu unterdrücken
    gehabt, und noch weniger kannte er die Macht, wel-
    che noch dicht vor jenem verhängnisvollen

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