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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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furchtbaren Abschieds, ja in den Fieber-
    delirien und später während der halben Betäubung,
    in der sie gelebt, noch unversehrt geblieben war, die
    Hoffnung, daß er mit der Andern dennoch sein
    Glück nicht finden, und daß er zurückkehren werde.
    Vielleicht war es nichts anderes, was bisher die flie-
    henden Kräfte beisammen gehalten, was den blei-
    benden Lebenswillen ausgemacht hatte, als diese
    Hoffnung. Sie war wohl schwach gewesen wie der
    Atem der Kranken, doch nichts anderes als die heu-
    tige grausame Aufklärung hatte sie ganz stocken
    lassen können. Nun aber dieser tiefverborgene Res-
    sort, aus dem das ganze System der seelischen und
    nervösen Thätigkeit einzig noch unterhalten wor-
    den, aufgehoben war, ward das Auseinanderverlan-
    gende durch nichts länger verbunden.
    Die junge Frau warf achtlos Scheite über Scheite in
    den Kamin, um dann mit unbeweglichen Augen in
    die übergroße Flamme zu starren. Erst als ihre Stirn-
    haare versengt wurden und ihr Gesicht unerträglich
    glühte, zog sie den Kopf zurück. So blieb sie sitzen
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    und blickte mit denselben Augen die erkaltete Asche
    an, mit denen sie in die Lohe gesehen. So fand sie je-
    der Tag einer langen Reihe. Sie beschäftigte sich
    nicht mehr; ihre Bücher blieben geschlossen, sie
    machte keine Tagestoilette. Kleidete man sie des
    Morgens an, so war ihre einzige Sorge, daß man ihr
    jenes hellviolette Gewand überwarf, welches ihr un-
    seliges Brautkleid gewesen. Der Stumpfsinn, der
    über die in ihrer Einsamkeit ihm Hingegebene her-
    einbrach, nahm ihr die Erinnerung an das verhäng-
    nisvolle Jahr, welches hinter ihr lag. So trat sie eines
    Tages ins Speisezimmer, wo sich soeben ihr Gatte
    bedienen ließ, und bestellte, ohne letzteren zu be-
    achten, unbefangen gleichfalls ihr Gedeck. Dann
    Herrn v. Grubecks gewahr geworden, redete sie ihn
    nachlässig und gleichgiltig an:
    »Guten Tag, mein Lieber, etwas neues?«
    Der Mann glaubte darin eine schneidende Ironie
    zu hören, mit der sie auf die ihr geflissentlich ver-
    heimlichte Rückkehr des jungen Paares anspielte, die
    sie irgendwie in Erfahrung gebracht haben mußte.
    Er zitterte und erbleichte. Dora aber hatte sorglos zu
    speisen begonnen und erwartete keinerlei Antwort.
    Was sie gesagt, war nur die gewohnheitsmäßige An-
    rede gewesen, mit welcher sie den Gatten in der er-
    sten Zeit ihrer Ehe, als sie gleichgiltig, aber doch in
    ungestörtem Frieden neben einander lebten, emp-
    fing, wenn er nach Hause kam: »Etwas Neues?«
    Den Brief hatte sie indes bewahrt und entfaltete
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    ihn häufig, ohne selbst noch zu wissen, warum? War
    es ein letztes, ihr nicht mehr deutlich fühlbares Be-
    dürfnis, mit dem Verlorenen wenigstens durch dieses
    Blatt Papier in einer gewissen fernen, fernen Bezie-
    hung zu stehen? Einmal geschah es, daß ihr sonst
    darüber hinschweifender, verständnisloser Blick auf
    der Schilderung verharrte, welche Wellkamp vom
    Genfer See und der ihn umgebenden Landschaft
    gab; diese Landschaft, in welcher sich sein fried-
    liches Glück befestigt hatte, und die Dora selbst ihm
    zuerst genannt! Mit der Fähigkeit, sich auf sich
    selbst zurückzuwenden, die einem versiegenden Le-
    ben bis zuletzt erhalten bleibt, rief sie plötzlich ihre
    eigene Gestalt wach, wie sie sich damals, noch in ih-
    rer Mädchenzeit, an jenem herrlichen Ufer bewegte.
    Es war vor wenig mehr als fünf Jahren gewesen, und
    doch wie weit lag es in ihrer kurzen Existenz zurück,
    in der sich die Erfahrungen mehr als in einer andern
    gedrängt hatten. Ihr inneres Gesicht zeigte ihr den
    Schmuck jener Natur in leuchtenderen Farben, in
    magischerem Duft, als ihn die armen Worte be-
    schrieben. Und sie selbst, so müde sie schon damals
    nach Europa herübergekommen war, um in der Ehe
    mehr auszuruhen als zu beginnen – nun erblickte sie
    ihre Mädchengestalt dennoch in dem Glanze der Ju-
    gend, denn die Luft war damals gleichwohl noch vol
    Hoffnungen gewesen, und an jeder Wegbiegung
    konnte das Glück zu ihr treten. Das Glück! Verkör-
    perte es sich nicht in dem jungen blonden Manne,
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    mit dem sie geheimnisvoll zusammengeführt war,
    und der seine schlanke Gestalt zu ihr neigte, um ihr
    ein Wort zuzuflüstern, das sie wie einen Kuß im
    Nacken fühlte. Dann aber bewegte sich ein Schatten
    in das Bild, und die Zurückschauende mußte sehen,
    wie sich eine fremde Gestalt über ihre eigene schob,
    um an der Seite des Mannes weiterzugehen. Und war
    dies nicht ein Symbol ihrer Geschichte?

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