In einer Familie
furchtbaren Abschieds, ja in den Fieber-
delirien und später während der halben Betäubung,
in der sie gelebt, noch unversehrt geblieben war, die
Hoffnung, daß er mit der Andern dennoch sein
Glück nicht finden, und daß er zurückkehren werde.
Vielleicht war es nichts anderes, was bisher die flie-
henden Kräfte beisammen gehalten, was den blei-
benden Lebenswillen ausgemacht hatte, als diese
Hoffnung. Sie war wohl schwach gewesen wie der
Atem der Kranken, doch nichts anderes als die heu-
tige grausame Aufklärung hatte sie ganz stocken
lassen können. Nun aber dieser tiefverborgene Res-
sort, aus dem das ganze System der seelischen und
nervösen Thätigkeit einzig noch unterhalten wor-
den, aufgehoben war, ward das Auseinanderverlan-
gende durch nichts länger verbunden.
Die junge Frau warf achtlos Scheite über Scheite in
den Kamin, um dann mit unbeweglichen Augen in
die übergroße Flamme zu starren. Erst als ihre Stirn-
haare versengt wurden und ihr Gesicht unerträglich
glühte, zog sie den Kopf zurück. So blieb sie sitzen
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und blickte mit denselben Augen die erkaltete Asche
an, mit denen sie in die Lohe gesehen. So fand sie je-
der Tag einer langen Reihe. Sie beschäftigte sich
nicht mehr; ihre Bücher blieben geschlossen, sie
machte keine Tagestoilette. Kleidete man sie des
Morgens an, so war ihre einzige Sorge, daß man ihr
jenes hellviolette Gewand überwarf, welches ihr un-
seliges Brautkleid gewesen. Der Stumpfsinn, der
über die in ihrer Einsamkeit ihm Hingegebene her-
einbrach, nahm ihr die Erinnerung an das verhäng-
nisvolle Jahr, welches hinter ihr lag. So trat sie eines
Tages ins Speisezimmer, wo sich soeben ihr Gatte
bedienen ließ, und bestellte, ohne letzteren zu be-
achten, unbefangen gleichfalls ihr Gedeck. Dann
Herrn v. Grubecks gewahr geworden, redete sie ihn
nachlässig und gleichgiltig an:
»Guten Tag, mein Lieber, etwas neues?«
Der Mann glaubte darin eine schneidende Ironie
zu hören, mit der sie auf die ihr geflissentlich ver-
heimlichte Rückkehr des jungen Paares anspielte, die
sie irgendwie in Erfahrung gebracht haben mußte.
Er zitterte und erbleichte. Dora aber hatte sorglos zu
speisen begonnen und erwartete keinerlei Antwort.
Was sie gesagt, war nur die gewohnheitsmäßige An-
rede gewesen, mit welcher sie den Gatten in der er-
sten Zeit ihrer Ehe, als sie gleichgiltig, aber doch in
ungestörtem Frieden neben einander lebten, emp-
fing, wenn er nach Hause kam: »Etwas Neues?«
Den Brief hatte sie indes bewahrt und entfaltete
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ihn häufig, ohne selbst noch zu wissen, warum? War
es ein letztes, ihr nicht mehr deutlich fühlbares Be-
dürfnis, mit dem Verlorenen wenigstens durch dieses
Blatt Papier in einer gewissen fernen, fernen Bezie-
hung zu stehen? Einmal geschah es, daß ihr sonst
darüber hinschweifender, verständnisloser Blick auf
der Schilderung verharrte, welche Wellkamp vom
Genfer See und der ihn umgebenden Landschaft
gab; diese Landschaft, in welcher sich sein fried-
liches Glück befestigt hatte, und die Dora selbst ihm
zuerst genannt! Mit der Fähigkeit, sich auf sich
selbst zurückzuwenden, die einem versiegenden Le-
ben bis zuletzt erhalten bleibt, rief sie plötzlich ihre
eigene Gestalt wach, wie sie sich damals, noch in ih-
rer Mädchenzeit, an jenem herrlichen Ufer bewegte.
Es war vor wenig mehr als fünf Jahren gewesen, und
doch wie weit lag es in ihrer kurzen Existenz zurück,
in der sich die Erfahrungen mehr als in einer andern
gedrängt hatten. Ihr inneres Gesicht zeigte ihr den
Schmuck jener Natur in leuchtenderen Farben, in
magischerem Duft, als ihn die armen Worte be-
schrieben. Und sie selbst, so müde sie schon damals
nach Europa herübergekommen war, um in der Ehe
mehr auszuruhen als zu beginnen – nun erblickte sie
ihre Mädchengestalt dennoch in dem Glanze der Ju-
gend, denn die Luft war damals gleichwohl noch vol
Hoffnungen gewesen, und an jeder Wegbiegung
konnte das Glück zu ihr treten. Das Glück! Verkör-
perte es sich nicht in dem jungen blonden Manne,
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mit dem sie geheimnisvoll zusammengeführt war,
und der seine schlanke Gestalt zu ihr neigte, um ihr
ein Wort zuzuflüstern, das sie wie einen Kuß im
Nacken fühlte. Dann aber bewegte sich ein Schatten
in das Bild, und die Zurückschauende mußte sehen,
wie sich eine fremde Gestalt über ihre eigene schob,
um an der Seite des Mannes weiterzugehen. Und war
dies nicht ein Symbol ihrer Geschichte?
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