In einer Familie
Sie fand ihn
in der idealen Landschaft ihrer Jugend, und er war
ihr bestimmt. Warum hatte sie ihn zu spät ihm Le-
ben treffen müssen, so daß nun Schuld geworden
war, was in Ehren hätte stehen sollen. Hatte sie ge-
sündigt, da er doch der einzige Mann gewesen war,
den sie geliebt? Al e Andern waren ihr nichts als eine
Machtprobe gewesen; sie hatte sie zu nehmen ge-
trachtet, und sobald sie sich ihr ergeben wollten, mit
Ekel fortgeworfen. Diesem Einen aber hatte sie sich
gegeben, und gerade er war es, der sie nach flüchtiger
Laune verschmähte. Sie fühlte die Rache der Natur
plötzlich wieder mit ungeahnter Stärke. Sie sprang
auf, es war ihr, als müsse sie schreien. Sie stampfte
mit den Füßen, dann gellte eine Stimme, die so
schrecklich klang, daß die Unglückliche selbst sich
die Ohren hielt, und die von den dicken Vorhängen
und Teppichen ringsherum ruhig angehalten und er-
stickt ward:
»Ich liebe ihn noch!«
Diese Frau, die mit unfruchtbarer, falscher Lei-
denschaftlichkeit ihr ganzes Leben zersetzt hatte,
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um es dann mit bitterer Langeweile abbröckeln zu
sehen, konnte nicht friedlicher enden als sie gelebt.
Sollte sie sterben, so durfte ihr letzter Atem nicht
sanft entfliehn, er mußte in Stößen von ihr gehen. Es
war, als geböte ihr Temperament an einer Stelle den
fliehenden Kräften Halt, und zwänge sie, die danach
verlangten, still und unbemerkt, eines nach dem an-
dern dahinzuschwinden, sich zusammenzunehmen
zu einem gewaltsamen letzten Ausbruch.
Doras Eifersucht war in der Zeit des schnellen
Verfalls des Verhältnisses unbedeutender und weni-
ger gefährlich erschienen als diejenige Wel kamps. In
Wahrheit war sie nur zurückgehalten durch die tiefe
Angst, mit der die junge Frau das Wachsen dieser
Leidenschaft bei sich wie bei dem Geliebten be-
merkte. Da sie sich an ihre einzige große Liebe wie
an das Leben selbst klammerte, schauderte sie vor
der Eifersucht als vor der natürlichen Mörderin des
Gefühls zurück. Dieser erhaltende Instinkt war erst
langsam durch die Unfähigkeit, die Leidenschaft
länger zu bemeistern, abgetötet, und Dora hatte se-
hen müssen, wie ihre zeitweilige Annäherung an ih-
ren Gatten, die sie, wie um sich einen Halt zu geben,
versucht hatte, die notwendige Katastrophe nur be-
schleunigte. Bei diesen sich bekämpfenden Gefühlen
war sie ruhiger erschienen als der Mann, sei es durch
einen Rest von der weiblichen Zurückhaltung ge-
genüber der beobachtenden Umgebung, sei es nur in
der Art, wie der Zustand eines wirklichen Kranken
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zuweilen weniger gefährlich erscheint, als der eines
eingebildeten. Was war denn Wellkamps Eifersucht
im Vergleich mit der ihrigen? Nichts als diejenige
eines Kindes, das ein Spielzeug zwar fortgeworfen
hat, aber nicht dulden will, daß ein Anderer die
Hand darauf lege. Die Frau, die er nicht mehr für
sich begehrte, mißgönnte er dennoch ihrer Ruhe
und ihrem Gatten. Sie aber liebte ihn, die Unglück-
liche, und während die Wunden, die ihm seine
männliche Eitelkeit geschlagen, ihn viel eicht bereits
nicht mehr schmerzten, hatten die ihren, die in Stil e
und Verheimlichung in Eiter übergegangen waren,
das Blut vergiftet und nun ein äußerstes Fieberdeli-
rium herbeigeführt, dem die Auflösung folgen
mußte.
Bis zum letzten mußte sie jetzt die Rache der Na-
tur über sich ergehen lassen, die uns unerbittlich mit
dem straft, womit wir uns an ihr vergangen haben.
So ward ihr die Leichtigkeit, mit welcher schon die
frühreife Phantasie des jungen Mädchens mit Bil-
dern spielte, die sie abwechselnd reizten und ab-
schreckten, nun zur raffinierten Qual. Der Traum-
zustand, in dem sie soeben ihre Jugend erblickt, war
beendigt. Die erwachten und schmerzhaft ange-
strengten Sinne zeigten ihr Alles in nackten, harten
Formen. Sie sah den Geliebten, jener Andern gehö-
rig, und sein Lächeln, seine Bewegungen waren die
gleichen, die sie an ihm kannte, die er für sie selbst
gehabt. Dann wechselte das Gesicht, und in ihrer
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kranken Phantasie tauchten unreine Bilder auf. All
das tief Unwürdige, womit sie und ihr Mitschuldiger
ihre in sich selbst schon beendigten Beziehungen zu
verlängern gesucht hatten, ging noch einmal an ihr
vorüber und erregte in ihren irren Sinnen eine auf-
reizende, verzweifelte Sehnsucht. Unter ihren Au-
gen, die, wie um in das Unsichtbare einzudringen,
gewaltsam aufgerissen waren, schwollen die blauen
Adern, während
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