In einer Person
auf der Bühne herumstolzieren zu sehen, der dabei so
tat, als wäre er ein Mädchen ! Doch als Richard Miss
Frost gefragt hatte, ob sie je auf der Bühne gestanden und ob sie je geschauspielert habe, hatte
sie geantwortet: »Nur in Gedanken.« Was für ein Lügengebäude!, dachte ich, als
ich mich im Spiegel zittern sah.
»Ist da jemand?«, hörte ich Miss Frost rufen. »Bist du das, William?«, rief sie so laut, dass ich wusste, wir
waren die Einzigen in der Bücherei.
»Ja, ich bin’s, Big Al«, antwortete ich.
»O Gott«, hörte ich Miss Frost mit theatralischem Seufzer rufen.
»Ich habe dir doch gesagt, uns bleibt nicht viel Zeit.«
»Da gibt’s eine Menge, was Sie mir nicht gesagt haben!«, rief ich zurück.
[336] Ich sah, dass Miss Frost mich erwartet und bereits die Lichter im
Lesesaal gelöscht hatte. Die gedämpfte Beleuchtung, die durch die offene
Kellertür nach oben drang – die Kellertür stand offen –, tauchte Miss Frost in
ein weiches, schmeichelhaftes Licht. Sie saß am Ausleihtisch, die großen Hände
im Schoß gefaltet. (Ich nenne das Licht »schmeichelhaft«, weil es sie jünger
aussehen ließ; natürlich könnte das auch darauf zurückzuführen sein, dass ich
sie in den alten Jahrbüchern gesehen hatte.)
»Komm, küss mich, William«, sagte Miss Frost. »Du hast doch keinen
Grund, mich nicht zu küssen, oder?«
»Sie sind ein Mann, nicht wahr?«, fragte
ich sie.
»Herrje, wodurch ist man ein Mann?«, fragte sie zurück. »Ist
Kittredge etwa kein Mann? Den wolltest du doch auch
küssen. Willst du mich denn nicht mehr küssen, William?«
Und wie ich sie küssen wollte; ich wollte alles mit ihr machen, doch gleichzeitig war ich wütend und
verunsichert und zitterte, weil ich spürte, dass ich jeden Moment in Tränen
ausbrechen würde – was ich unbedingt vermeiden wollte.
»Sie sind ein Transsexueller !«, sagte ich
zu ihr.
»Mein lieber Junge«, sagte Miss Frost mit schneidender Stimme. »Mein
lieber Junge, bitte stecke mich nicht in eine Schublade. Ordne mich nirgends ein, bevor du mich überhaupt kennst!«
Als sie sich von ihrem Schreibtisch erhob, schien sie mich plötzlich
turmhoch zu überragen; als sie die Arme ausbreitete, lief ich, ohne zu zögern,
in ihre kräftigen Arme und küsste Miss Frost. Sie erwiderte meinen Kuss, sehr
fest. Ich konnte nicht weinen, weil sie mir den Atem raubte.
[337] »Also wirklich – was warst du nur für ein fleißiger Knabe,
William«, sagte sie und führte mich zur Kellertreppe. »Du hast Giovannis Zimmer gelesen, stimmt’s?«
»Zweimal!«, brachte ich heraus.
»Schon zweimal ! Und hast außerdem Zeit gefunden, diese alten Jahrbücher zu lesen,
nicht wahr, William? Ich wusste, du würdest nicht lange brauchen, um von 1931
nach 1935 zu kommen. War es das Mannschaftsfoto der Ringer 1935 – ist dir das
ins Auge gesprungen, William?«
»Ja!«, brachte ich mit Mühe heraus. Miss Frost zündete die nach Zimt
duftende Kerze in ihrem Schlafzimmer an; dann knipste sie die Leselampe am
Kopfende ihres Messingbettes aus, auf dem die Decke schon zurückgeschlagen war.
»Ich konnte ja nicht gut verhindern, dass du dir die alten
Jahrbücher ansiehst, oder, William?«, fuhr sie fort. »In der Bibliothek der
Academy bin ich nicht willkommen. Und wenn du das Foto von mir aus meinen
Ringertagen nicht gesehen hättest, hätte dir bestimmt irgendwann jemand von mir
erzählt. Ehrlich gesagt, überrascht mich, dass es dir noch niemand erzählt hat «, sagte Miss Frost.
»Meine Familie erzählt mir kaum etwas«, gestand ich ihr. Ich zog
mich so schnell wie möglich aus, und Miss Frost hatte schon ihre Bluse
aufgeknöpft und war aus ihrem Rock geschlüpft. Als sie diesmal die Toilette
benutzte, ließ sie ihre Privatsphäre unerwähnt.
»Ja, ich weiß über deine Familie Bescheid!«, sagte sie lachend. Sie
zog ihren Unterrock hoch und pinkelte, nachdem sie die hölzerne Klobrille
hochgeklappt hatte, im Stehen, ziemlich laut, drehte mir dabei aber den Rücken
zu. [338] Ihren Penis sah ich zwar nicht, aber an ihrem kräftigen Pissen merkte
man, dass sie einen hatte.
Ich lag nackt auf dem Messingbett und beobachtete, wie sie sich in
dem kleinen Spülbecken Hände und Gesicht wusch und die Zähne putzte. Im Spiegel
sah ich, wie sie mir zublinzelte. »Sie waren bestimmt ein echt guter Ringer«,
sagte ich zu ihr, »wenn die Sie zum Mannschaftskapitän gemacht haben.«
»Ich habe sie nicht darum gebeten«, sagte sie mir. »Ich habe einfach
immer alle
Weitere Kostenlose Bücher