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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schüttelte nur den Kopf.
    »Dieser Bobby ist zwar ein Schatz, war aber immer schon ein Weichei – sogar bevor Muriel ihn weichgekocht hat«, fuhr Miss Frost fort. Ich hatte
noch nie gehört, dass Onkel Bob »Bobby« genannt wurde, wusste aber, dass Robert
Fremont auf der Favorite River Academy mit Albert [350]  Frost in einer Klasse
gewesen war, und wenn man in diesen prägenden Jahren dieselbe Schule besucht,
hat man füreinander Namen, die man später nie wieder hört oder benutzt.
(Beispielsweise nennt mich keiner mehr Nymphe.)
    Ich machte Anstalten, aus der Wanne zu steigen, ohne mich vor meinem
Grandpa zu entblößen, als Miss Frost mir ein Badetuch reichte. Auch mit
Badetuch war es umständlich, aus der Wanne zu steigen, sich abzutrocknen und zu
versuchen, sich anzuziehen.
    »Ich möchte dir mal etwas über deine Tante Muriel erzählen,
William«, sagte Miss Frost, die sich zwischen meinen Großvater und mich
gestellt hatte. »Muriel schwärmte nämlich einmal für mich – ehe sie sich ihren ›ersten und einzigen Verehrer ‹
angelte, deinen Onkel Bob. Stell dir vor, wenn ich Muriels Angebot angenommen
hätte – nämlich als sie sich mir an den Hals warf!«, rief Miss Frost, ganz die
Ibsen-Darstellerin.
    »Al, sei bitte nicht vulgär«, sagte Grandpa Harry. »Muriel ist
schließlich meine Tochter.«
    »Muriel ist ein herrisches Miststück, Harry. Vielleicht wäre sie netter geworden, wenn sie mich jemals besser kennengelernt
hätte«, sagte Miss Frost. » Mich kriegt man nicht
unter die Fuchtel, William«, fuhr sie fort und sah mir zu, während ich mich –
mehr schlecht als recht – anzuziehen versuchte.
    »Das glaub ich gern, Al – unbedingt!«, rief Grandpa Harry aus. »Dich
kriegt man wahrhaftig nicht unter die Fuchtel!«
    »Dein Grandpa ist ein guter Kerl, William«, sagte Miss Frost zu mir.
»Er hat mir dieses Zimmer gebaut. Als ich [351]  nach dem
Studium hierher zurückkam, dachte meine Mutter, ich sei noch ein Mann. Ich
musste mich irgendwo umziehen, ehe ich als Frau zur Arbeit gehen konnte – und
bevor ich jeden Abend zu meiner Mutter nach Hause ging, als Mann. Man könnte es
als Segen bezeichnen – wenigstens macht’s es für mich leichter –, dass meine
arme Mom offenbar nicht mehr bemerkt, welches Geschlecht ich habe – oder haben
sollte.«
    »Ich wünschte, du hättest mich diesen Raum ganz herrichten lassen,
Al«, sagte Grandpa Harry. »Also wirklich – wenigstens um die Toilette hätte man
eine Wand hochziehen müssen!«, stellte er fest.
    »Für noch mehr Wände ist das Zimmer zu klein«, widersprach Miss
Frost. Als sie diesmal vor dem Klo stand und die Holzbrille hochklappte, drehte
Miss Frost weder mir noch Grandpa Harry den Rücken zu. Ihr Penis war zwar kein
bisschen steif, aber er war ziemlich groß – wie ihr übriger Körper, von den
Brüsten abgesehen.
    »Also wirklich, Al – du bist ein anständiger Bursche. Ich habe mich
immer für dich eingesetzt«, sagte Grandpa Harry. »Aber das ist nicht richtig –
das mit Bill und dir.«
    »Sie hat mich beschützt!«, stieß ich hervor. »Wir hatten nie Sex.
Jedenfalls kein Eindringen«, ergänzte ich.
    »Meine Güte, Bill – ich will nicht hören, wie ihr’s getrieben
habt!«, rief Grandpa Harry und hielt sich die Hände vor die Ohren.
    »Aber wir haben’s nicht getrieben!«, widersprach ich.
    »An dem Abend, als Richard dich zum ersten Mal hierhergebracht hat,
William – als du deinen Bibliotheksausweis bekommen hast und Richard mir die
Rollen in den [352]  Ibsen-Stücken anbot, weißt du das noch?«, fragte mich Miss
Frost.
    »Natürlich weiß ich das noch!«, flüsterte ich.
    »Richard dachte, er böte die Nora- und die Hedda-Rolle einer Frau
an. Als er dich dann nach Hause brachte, da sprach er mit deiner Mom – die
bestimmt mit Muriel redete –, tja, und damals erzählten ihm dann alle von mir.
Doch Richard wollte mich trotzdem besetzen! Diese Winthrop-Frauen mussten mich
akzeptieren, wenigstens auf der Bühne – so wie sie
dich akzeptieren mussten, Harry, als du nur geschauspielert hast. War es nicht so?«, fragte sie meinen Großvater.
    »Tja, also – auf der Bühne ist es eine Sache, stimmt’s, Al?«, fragte
Grandpa Harry Miss Frost.
    »Du stehst auch unter der Fuchtel, Harry«, sagte Miss Frost ihm ins
Gesicht. »Bist du’s nicht allmählich leid?«
    »Komm jetzt, Bill«, sagte mein Großvater zu mir. »Wir sollten los.«
    »Und ich habe dich immer respektiert, Harry«, sagte Miss Frost.
    »Ich habe dich

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