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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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anderen Worten: zwischen den Schenkeln.«
    »Verstehe«, sagte ich.
    »Dieser ›Schenkelverkehr‹ wurde von homosexuellen Männern im alten
Griechenland praktiziert, jedenfalls habe [347]  ich das gelesen«, fuhr Miss Frost
fort. »Das weiß ich nicht aus meinem Studium der Bibliothekswissenschaft, doch
ich habe einen großen Teil meiner Freizeit in der Bibliothek verbracht!«
    »Was hat den alten Griechen daran gefallen?«, fragte ich sie.
    »Es ist lange her, dass ich das gelesen habe – vielleicht habe ich
mir nicht alle Gründe gemerkt«, sagte Miss Frost. »Dass er von hinten erfolgte,
vielleicht.«
    »Aber wir leben nicht mehr im alten Griechenland«, gab ich zu
bedenken.
    »Vertrau mir, William: Man kann auch Schenkelverkehr haben, ohne die
Griechen buchstabengetreu zu kopieren«, erklärte Miss
Frost. »Man muss es nicht immer nur von hinten machen. Schenkelverkehr
funktioniert seitlich und auch in anderen Stellungen – sogar in der
Missionarsstellung.«
    »Der was ?«, fragte ich sie.
    »Die probieren wir beim nächsten Mal, William«, flüsterte sie.
Mitten in ihrem leisen Flüstern glaubte ich ein Knarren auf der Kellertreppe zu
hören. Entweder hörte Miss Frost es auch, oder es war reiner Zufall, dass sie
in diesem Augenblick auf die Uhr schaute.
    »Du hast Richard und mir erzählt, du hättest nur in Gedanken auf der
Bühne gestanden – geschauspielert. Doch ich habe dich auf den Fotos des
Theaterclubs gesehen. Du hast auf der Bühne gestanden – also hast du früher
schon geschauspielert«, sagte ich zu ihr.
    »Dichterische Freiheit, William«, erwiderte Miss Frost und seufzte
theatralisch. »Außerdem war das nicht [348]  schauspielern.
Das war nichts weiter als sich verkleiden – das war chargieren !
Diese Jungs waren Clowns, haben nur herumgealbert! Damals gab es keinen Richard
Abbott auf der Favorite River Academy. Keiner der für den Theaterclub
Zuständigen wusste auch nur halb so viel wie Nils, und Nils Borkman ist ein dramaturgischer Pedant !«
    Wieder knarrte es auf der Kellertreppe, und diesmal hörten wir es
beide; diesmal war jeder Irrtum ausgeschlossen. Mich überraschte hauptsächlich,
dass Miss Frost so wenig überrascht schien. »Haben wir in der Eile vergessen,
die Bibliothekstür abzuschließen?«, flüsterte sie mir zu. »O Gott – ich
fürchte, ja.«
    Uns blieb so wenig Zeit – wie Miss Frost von Anfang an gewusst
hatte.
    Beim dritten Knarren auf der Kellertreppe an diesem
unvergesslichen Abend in der Stadtbücherei von First Sister stand Miss Frost
auf – die neben ihrer großen Badewanne gekniet und sich fürsorglich um meinen
Penis gekümmert hatte, während wir über allerhand interessante Themen sprachen – und sagte mit Stentorstimme, die meiner Freundin Elaine und Mrs. Hadley,
deren Mutter und Stimmbildnerin, imponiert hätte: »Bist du das, Harry? Ich
dachte mir schon, dass die Feiglinge dich vorschicken
würden. Du bist es doch, oder?«
    »Äh, also – ja, ich bin’s«, hörte ich Grandpa Harry kleinlaut von
der Kellertreppe aus antworten. Ich setzte mich in der Wanne auf. Miss Frost
stand kerzengerade da, die Schultern nach hinten gedrückt und die kleinen, aber
spitzen Brüste in Richtung der offenen Zimmertür vorgereckt. [349]  Miss Frosts
Brustwarzen waren ziemlich groß, und die schwer aussprechbaren Warzenhöfe
hatten die bedrohliche Größe von Silberdollars.
    Als mein Großvater zögernd Miss Frosts Kellerraum betrat, war er
nicht die selbstsichere Figur, die ich so oft auf der Bühne gesehen hatte; er
war keine Frau mit souveräner Präsenz, sondern nur ein Männlein – klein und
kahl. Grandpa Harry hatte sich offensichtlich nicht freiwillig gemeldet
herzukommen und mich zu retten.
    »Ich bin enttäuscht, dass Richard nicht den Mumm hatte,
herzukommen«, sagte Miss Frost zu meinem peinlich berührten Großvater.
    »Richard wollte kommen, aber Mary hat ihn nicht gehen lassen«, sagte
mein Großvater.
    »Richard steht unter der Fuchtel, wie alle Männer, die eine
Winthrop-Frau geheiratet haben«, stellte Miss Frost fest. Solange sie barbusig
vor ihm stand, sah mein Großvater sie nicht an, doch sie wandte sich weder von
ihm ab, noch suchte sie ihre Kleidung zusammen, sondern blieb, nur mit ihrem
perlgrauen Unterrock bekleidet, vor ihm stehen, als wäre es ein Festgewand und
sie hätte sich für diese Gelegenheit übertrieben schick angezogen.
    »Vermutlich war auch Muriel nicht bereit, Bob gehen zu lassen«, fuhr
Miss Frost fort. Grandpa Harry

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