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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Skiern, nicht in seinem Alter,
das hat er mir versprochen –, aber er putzt und putzt das verflixte Ding!«,
erzählte sie Richard.
    Grandpa Harry, den Richard darauf angesprochen hatte, sagte nur:
»Eine Schusswaffe zu besitzen ist sinnlos, wenn man sie nicht sauber hält.«
    »Aber vielleicht könntest du zum Reinigen deine Klamotten anziehen, Harry«, hatte Richard entgegnet. »Du weißt schon – Jeans,
ein altes Flanellhemd. Sachen, die man waschen und die Elmira nicht reinigen lassen muss.«
    Harry war Richard die Antwort schuldig geblieben. Zu seiner
Pflegerin aber sagte er, sie müsse sich keine Sorgen [563]  machen. »Falls ich mich
erschieße, Elmira, lass ich dir nichts zurück, was in die scheiß chemische
Reinigung muss, versprochen.«
    Jetzt machten sich Elmira und Richard natürlich erst recht Sorgen,
dass Grandpa Harry sich erschießen könnte, und ich dachte dauernd an das
blankpolierte .30-30er. Klar war ich deswegen auch besorgt, aber, ehrlich
gesagt, war ich auch erleichtert, dass das verdammte Mossberg einsatzbereit
war. Doch um ganz ehrlich zu sein, machte ich mir
weniger Sorgen um Grandpa Harry als um mich. Sollte
ich HIV -positiv getestet werden, wüsste ich, was
ich machen würde. Als alter Vermonter hätte ich keinen Moment gezögert. In
diesem Fall würde ich schnurstracks nach Hause nach First Sister fahren und
dort geradewegs zu Grandpa Harrys Haus in der River Street. Ich wusste, wo
Grandpa das Mossberg aufbewahrte, und ich wusste auch, wo Harry seine Munition
versteckte. Was mein Grandpa seine »Ungeziefer-Flinte« nannte, reichte mir
vollkommen.
    In diesem Gemütszustand – und fest entschlossen, nicht zu weinen –
fuhr ich also in Begleitung von Elaine nach Short Hills, New Jersey, um meinen
sterbenden Freund Tom Atkins zu besuchen, den ich seit zwanzig Jahren nicht
mehr gesehen hatte – sozusagen mein halbes Leben lang.
    Ich hätte allerdings voraussehen müssen, dass Toms Sohn Peter an die
Tür kommen würde. Ich hätte darauf gefasst sein müssen, dass er dem früheren
Academy-Schüler zum Verwechseln ähnlich sehen würde. Aber als ich ihn dann sah,
war ich einfach nur sprachlos.
    »Er ist sein Sohn, Billy – sag etwas!«,
zischte mir Elaine ins Ohr. (Natürlich musste ich mich sehr zusammenreißen, [564]  um
nicht zu weinen.) »Hi, ich bin Elaine, das ist Billy«, sagte Elaine zu dem
Jungen mit den karottenfarbenen Haaren. »Du musst Peter sein. Wir sind alte
Freunde deines Dads.«
    »Ja, wir haben Sie erwartet, treten Sie bitte ein«, sagte Peter
höflich. (Der Junge war gerade erst fünfzehn geworden; er hatte sich an der
Lawrenceville School beworben, wo er in die zehnte Klasse käme, und wartete auf
Antwort, ob er angenommen war.)
    »Wir wussten nicht genau, um welche Uhrzeit Sie kommen würden, aber
jetzt ist ein guter Zeitpunkt«, sagte Peter, während er Elaine und mich
hereinbat. Am liebsten hätte ich den Jungen umarmt – er hatte zweimal das Wort Zeit benutzt und keinerlei Ausspracheprobleme! –, rührte
ihn aber unter den gegebenen Umständen besser nicht an.
    Auf einer Seite der geräumigen Diele sah man in ein ausgesprochen
steif wirkendes Esszimmer – in dem bestimmt nie gegessen wurde, dachte ich –,
und der Junge erzählte uns, Charles sei soeben gegangen. »Charles ist der
Pfleger meines Dads«, klärte Peter uns auf. »Charles kommt und sieht nach dem
Katheter – man muss ihn spülen, sonst verstopft er«, teilte Peter Elaine und
mir mit.
    »Verstopft er«, wiederholte ich – meine ersten Worte im Haus der
Atkins. Elaine stupste mich in die Rippen.
    »Meine Mom ruht sich gerade aus, wird aber gleich runterkommen«,
sagte der Junge. »Wo meine Schwester ist, weiß ich nicht.«
    Wir folgten ihm in einen ebenerdigen Flur. Dort blieb er vor einer
geschlossenen Tür stehen. »Das war früher das Arbeitszimmer meines Vaters«,
sagte Peter; der Junge [565]  zögerte, die Hand auf der Klinke. »Unsere
Schlafzimmer sind im ersten Stock, aber Dad kann nicht mehr Treppen steigen«,
fuhr Peter fort, öffnete die Tür aber immer noch nicht. »Falls meine Schwester
gerade bei ihm ist, wird sie jetzt gleich schreien – sie ist erst dreizehn,
fast vierzehn«, warnte der Junge Elaine und mich. »Ich wiege etwa
dreiundsechzig Kilo«, sagte Peter, sichtlich um Sachlichkeit bemüht. »Mein Dad
hat sehr abgenommen, seit Sie ihn zuletzt gesehen haben«, sagte der Junge. »Er
wiegt nur knapp über vierzig Kilo.« Erst jetzt öffnete er die Tür.
    »Wie der Junge

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