In einer Person
aber in der
nächsten Nacht nahmen wir uns ein Zimmer mit breiterem Bett. An diesem
Wochenende sah ich keine Gespenster – wie auch später nie in diesem Haus.
Larry hatte ich das größte Zimmer gegeben, das Grandpa Harry gehört
hatte – der Schrank quoll immer noch über von Nana Victorias Kleidern. (Mrs.
Hadley hatte mir versprochen, auch die zu entsorgen, wenn sie und Richard die
Möbel versteigerten.) Larry sah keine Gespenster; er beschwerte sich nur über
die Wanne in seinem Bad.
»Ähem, Bill – ist das die Badewanne, in der dein Großvater –«
»Ja, genau«, fiel ich ihm ins Wort. »Warum?«
[601] Larry hatte nach Blutflecken gesucht, aber Bad und Wanne waren
tadellos sauber gewesen. (Elmira musste da drin gewütet haben!) Trotzdem hatte
Larry etwas gefunden, das er mir zeigen wollte. Am Badewannenboden war die
Emaille an einer Stelle abgesplittert.
»War das hier schon immer schadhaft?«, wollte er wissen.
»Aber ja – die Stelle war da schon drin, als ich klein war«, log
ich.
»Das sagst du, Billy – das sagst du «,
unkte Larry misstrauisch.
Wir wussten beide, wie es zu der angestoßenen Stelle gekommen war.
Die Gewehrkugel musste Grandpa Harrys Kopf durchschlagen haben, während er auf
der Seite lag. So hatte die Kugel die Emaille am Badewannenboden eingedellt.
»Wenn ihr die alten Möbel versteigert«, bat ich Richard und Martha,
»dann versteigert bitte auch die Badewanne.«
Ich musste nicht näher erklären, welche Wanne.
»Du wirst nie in dieser grässlichen Kleinstadt wohnen, Billy. Du
spinnst, wenn du es auch nur in Erwägung ziehst«, sagte Elaine. Es war die
Nacht nach unserem Thanksgiving-Essen, und vielleicht lagen wir im Bett wach,
weil wir uns die Bäuche zu vollgeschlagen hatten und nicht einschlafen konnten,
oder vielleicht horchten wir auch nach Gespenstern.
»Als wir beide noch hier gewohnt haben, in diesem grässlichen Kaff –
als wir in diesen Shakespeare-Stücken mitgespielt haben –, gab es da jemals
einen Jungen, der den Mut hatte, die Julia zu spielen?«, fragte ich Elaine. Ich [602] spürte, wie sie ihn sich vorstellte, genau wie ich, im Dunkeln – von wegen nach Gespenstern horchen !
»Nur einer hätte den Mut dazu gehabt, Billy«, antwortete mir Elaine,
»aber er wäre nicht der Richtige für die Rolle gewesen.«
»Warum nicht?«, fragte ich. Sie meinte Kittredge; hübsch genug war
er – den Mut dazu hatte er auch, keine Frage.
»Julia ist vor allem eins: aufrichtig «, sagte
Elaine. »Vom Aussehen her wäre Kittredge natürlich ideal gewesen, aber er hätte
irgendwie zu dick aufgetragen – mit aufrichtig hatte
Kittredge es nicht so, Billy«, sagte Elaine.
Nein, weiß Gott nicht, dachte ich. Kittredge hätte jeder sein können – vom Aussehen her passte er in jede Rolle. Aber aufrichtig war er nie; er
hatte ständig etwas zu verbergen – er spielte immer nur eine Rolle.
Bei diesem Thanksgiving-Essen gab es peinliche und komische
Szenen. Zu Letzteren gehörte, dass die beiden Koreanerinnen ihrem japanischen
Mitschüler Fumi weismachten, wir würden einen Pfau verspeisen. (Mir ist
schleierhaft, wie die beiden es fertigbrachten, Fumi diesen Bären aufzubinden,
und warum dem Japaner allein die Vorstellung, Pfau zu essen, so furchtbar
zusetzte.)
»Nein, nein – es ist eine Pute «, sprach
Mrs. Hadley ihm vor, als hätte er ein Ausspracheproblem.
Da ich in diesem Haus an der River Street groß geworden war, fand
ich das Lexikon und zeigte Fumi, wie ein Truthahn aussah. » Kein Pfau«, sagte ich. Die Koreanerinnen, Su Min und Dong Hi, tuschelten auf
Koreanisch miteinander und kicherten.
[603] Später, als schon reichlich Wein geflossen war, brachte die
quirlige Plaudertasche und zweifache Mutter – Gerrys neue Freundin – einen
Toast auf unsere erweiterte Familie aus, um sich für die Einladung zu der (wie
sie sagte) »intimen« Feier im kleinen Kreis zu bedanken. Zweifelsohne lag es am
Wein, in Kombination mit dem Wörtchen »intim«, dass Helena zu einer
Stegreifrede auf ihre Vagina ansetzte – oder vielleicht pries sie auch alle Vaginas dieser Welt. »Vielen Dank für die nette
Einladung«, hatte sie angefangen, ehe sie vom Thema abschweifte. »Früher habe
ich meine Vagina gehasst, aber jetzt liebe ich sie«,
verkündete sie. Gleich darauf schien sie sich eines Besseren zu besinnen, weil
sie rasch ergänzte: »Und Gerrys Vagina liebe ich natürlich auch, denn Gerry
habe ich es überhaupt zu verdanken, dass ich auch meine Vagina liebe,
Weitere Kostenlose Bücher