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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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meine Meinung, Billy – aber das hat seine Mutter gesagt«,
erwiderte Tennisarm-Bob.
    »Nach allem, was ich gehört habe, muss Kittredge an Aids gestorben
sein«, sagte ich.
    »Welche Mutter aus der Generation von Mrs. Kittredge würde der
ehemaligen Schule ihres Sohnes das wohl mitteilen?«,
fragte Onkel Bob. (Tom Atkins’ Ehefrau Sue hatte [655]  auch nur gemeldet, ihr Mann
sei »nach langer, schwerer Krankheit« verstorben.)
    »Du hast gesagt, Kittredge hatte eine Frau «,
antwortete ich meinem Onkel.
    »Die Hinterbliebenen sind seine Frau und sein Sohn – ein Einzelkind – und natürlich seine Mutter«, erklärte mir Schläger-Bob. »Der Junge trägt den
Namen seines Vaters – noch ein Jacques. Die Witwe hat einen Namen, der deutsch
klingt. Du hast doch Germanistik studiert, oder, Billy? Was ist Irmgard für ein
Name?«, fragte mich Onkel Bob.
    »Klingt sehr deutsch«, sagte ich.
    Wenn Kittredge in Zürich verschieden war – selbst wenn er in der
Schweiz »eines natürlichen Todes« gestorben war –, konnte seine Frau
Schweizerin sein, aber Irmgard war ein sehr deutscher
Name. Oje, was für ein harter Brocken von einem Vornamen! Er klang furchtbar
altmodisch; man spürte sofort, wie förmlich die Person mit diesem steifen Namen
war. Ich fand, der Name passte gut zu einer ältlichen, ausgesprochen strengen
Lehrerin.
    Vermutlich war das einzige Kind, der Sohn mit Namen Jacques,
irgendwann Anfang der siebziger Jahre geboren; das wäre genau nach Plan im
Selbstentwurf eines karrierebewussten jungen Mannes gewesen, wie ich mir
Kittredge zu jener Zeit vorstellte – mit dem Master of Fine Arts aus Yale in
der Tasche, bei den ersten Schritten auf seiner fraglos glanzvollen Laufbahn in
der Welt des Theaters. Nur zum passendsten Zeitpunkt
hätte Kittredge die Pause für eine Heirat eingelegt. Aber was dann ? Wie war es von da ab weitergegangen?
    »Dieser Scheißkerl – zum Henker mit ihm!«, rief Elaine, [656]  als ich
ihr von Kittredges Tod erzählte. Sie schäumte vor Wut – als hätte Kittredge
sich irgendwie verdrückt. Über den Unsinn mit »eines natürlichen Todes« konnte
sie nicht sprechen, über die Frau schon gar nicht. »Damit kommt er mir nicht so
einfach davon!«, heulte sie.
    »Elaine – er ist gestorben. Er ist mit nichts davongekommen«, sagte
ich, aber sie weinte untröstlich.
    Leider war es eine der wenigen Nächte, in denen Amanda nicht die
Aufsicht hatte; sie übernachtete bei mir in der River Street, und so kam es,
dass ich ihr von Kittredge, Elaine und dem ganzen Rest erzählte.
    Diese Geschichte aus dem wirklichen Leben war eindeutig mehr bi –
und schwul und »transgender« (wie Amanda es ausdrücken würde) – als alles, was
sie sich je hatte vorstellen müssen, obwohl sie mir ständig beteuerte, wie sehr
sie meine Bücher liebe, in denen ihr mit Sicherheit
haufenweise sexuelle »Abweichungen« begegnet waren (wie Richard es ausdrücken
würde).
    Ich machte mir Vorwürfe, weil ich Amanda die verflixten Gespenster in
meinem Haus verschwiegen hatte; bisher waren sie immer nur anderen Leuten
erschienen – mich hatten sie noch nie behelligt! Doch
dann musste Amanda mitten in der Nacht aufs Klo – und weckte mich mit einem
durchdringenden Schrei. In meinem Bad stand eine nagelneue Wanne – nicht die, in der sich Grandpa Harry erschossen hatte, wenn
auch das Bad unverändert war –, aber als Amanda sich endlich so weit beruhigt
hatte, dass sie mir (immer noch auf dem Klo sitzend!) sagen konnte, was
passiert war, da hatte sie eindeutig Harry in der nagelneuen Badewanne gesehen.
    [657]  »Er lag wie ein kleiner Junge mit zum Kinn angezogenen Knien da
drin – und hat mir zugelächelt, als ich gepinkelt
hab!«, erzählte mir Amanda schluchzend.
    »Tut mir ehrlich leid«, sagte ich.
    »Aber er war kein kleiner Junge!«, stöhnte Amanda.
    »Nein, du hast recht – das war mein Großvater«, versuchte ich ihr
ruhig zu vermitteln. Mein Gott, Harry – sogar als Gespenst brauchte er noch
Publikum! (Sogar als Mann !)
    »Ich hab das Gewehr nicht gleich gesehen – aber er wollte, dass ich es sah, Billy. Erst hat er es mir gezeigt,
und dann hat er sich damit in den Kopf geschossen – dass die Schädelsplitter
nur so flogen!«, jammerte Amanda.
    Natürlich hatte ich (in Grandpa Harrys denkwürdigen Worten) jetzt
einiges an Erklärerei zu übernehmen; ich musste ihr alles über Grandpa Harry
erzählen. Es wurde eine lange Nacht. Am Morgen weigerte sich Amanda, allein ins
Bad zu gehen – auch

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