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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Street noch nicht
verkauft, als Richard Abbott mir erzählte, was in der Einrichtung für betreutes
Wohnen passiert war; es stand noch zum Verkauf. Mein Stiefvater und ich verfrachteten
Harry schleunigst in seine gewohnte Umgebung zurück – das Haus, das er so viele
Jahre lang mit Nana Victoria bewohnt hatte. Nanas Kleider wurden mit ihm in das
Haus zurückgeschafft, und die von uns eingestellte Pflegerin, die Grandpa rund
um die Uhr betreute, hatte nichts gegen Harrys offenbar endgültige Verwandlung
in eine Frau einzuwenden. Sie hatte Harry Marshalls zahlreiche Verkörperungen
von Frauenfiguren auf der Bühne in guter Erinnerung.
    »Warst du nie scharf darauf, dich als Frau zu verkleiden, Billy?«,
fragte Donna mich eines Abends.
    »Nicht dass ich wüsste«, antwortete ich.
    Von Transsexuellen fühlte ich mich auf ganz bestimmte Weise
angezogen. (Sorry, aber das Wort »Transgender« kannten wir damals noch nicht –
das kam in den USA erst in den achtziger Jahren
auf.) Mit Transvestiten hatte ich es einfach nicht so, und Transsexuelle
mussten nach ihren eigenen Kategorien »passabel« sein – eins der wenigen
Adjektive, dessen Aussprache mir heute noch Probleme bereitet. Außerdem mussten
ihre Brüste natürlich sein – Hormone gingen in Ordnung, Implantate nicht –,
und, wen wundert’s, ich bevorzugte kleine Brüste.
    Donna legte sehr großen Wert auf ihr weibliches Aussehen. Sie war
groß und schlank – selbst ihre Oberarme waren dünn –, mit makellos glatter
Haut. (Ich habe viele Frauen gekannt, die stärker behaart waren.) Sie
verbrachte viel Zeit beim Friseur und war sehr modebewusst.
    [112]  Allerdings genierte sich Donna wegen ihrer Hände, obwohl sie
nicht so auffällig groß und kräftig waren wie die von Miss Frost, und hielt
daher nicht gerne Händchen mit mir, weil meine Hände kleiner waren.
    Sie kam aus Chicago und versuchte in New York Fuß zu fassen (nach
unserer Trennung zog sie weiter nach Toronto), glaubte aber, dass jemand wie
sie in Europa besser aufgehoben wäre. Oft begleitete sie mich auf meinen
Lesereisen, die ich unternahm, als meine Romane übersetzt wurden und in
verschiedenen europäischen Ländern herauskamen. Donna sagte, in Europa sei man
Transsexuellen gegenüber toleranter, weil man dort generell in sexuellen Dingen
toleranter und kultivierter sei. Doch eine dieser
anderen europäischen Sprachen zu lernen traute sie sich nicht zu.
    Sie hatte das College abgebrochen, weil ihre Studienzeit mit dem
zusammenfiel, was sie ihre »sexuelle Identitätskrise« nannte, und sie hielt
sich für nicht gebildet genug. Was absurd war, denn sie las ständig und war
überhaupt sehr schlau. Aber in einem bestimmten Alter wird von uns erwartet,
dass wir unseren Verstand füttern und ausbilden, und Donna redete sich ein,
diese Jahre an ihre schwierige Entscheidung verloren zu haben, als Frau zu
leben.
    Am glücklichsten war Donna mit mir in Deutschland, wo ich die
Landessprache beherrschte – das heißt, wenn wir in Deutschland, in Österreich
und der deutschsprachigen Schweiz auf Lesereise waren. Donna liebte Zürich –
auch weil ihr diese Stadt wie so vielen so wohlhabend vorkam. Wien mochte sie
auch – von meinem Austauschjahr her, das ich als Student dort verbracht hatte,
kannte ich [113]  mich dort noch ein wenig aus. Aber am allerbesten gefiel Donna
Hamburg – Hamburg war für sie die eleganteste Stadt Deutschlands.
    In Hamburg brachten mich meine deutschen Verleger immer im Hotel
Vier Jahreszeiten unter, das so elegant war, dass es für Donna die
Hauptattraktion in Hamburg darstellte. Bis zu jenem schrecklichen Abend, nach
dem Donna nie wieder in Hamburg – oder auch mit mir – glücklich sein konnte.
    Es fing ganz harmlos an. Ein Journalist, der mich interviewt hatte,
lud uns in einen Nachtclub an der Reeperbahn ein. Ich kannte weder die Reeperbahn,
noch wusste ich, um was für einen Club es sich handelte, aber dieser Journalist
(und seine Frau oder Freundin) luden Donna und mich ein, mit ihnen auszugehen
und uns ein Unterhaltungsprogramm anzusehen. Sie hießen Klaus (mit K) und
Claudia (mit C); wir fuhren zusammen im Taxi hin.
    Ich hätte merken müssen, was für ein Club das war, als ich beim
Hereinkommen die dünnen Jungs an der Bar sah. Ein Transvestiten-Kabarett. (Vermutlich waren die dünnen Jungs an der Bar die Freunde der Darsteller, denn
es war keine Schwulenbar; bis auf diese Knaben war nicht ein einziger schwuler
Gast im Publikum.)
    Es war eine Vorführung für

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