In einer Person
Gummis haben?
Ich besorg dir Gummis.«
»Bei Elaine besteht keine Gefahr«, teilte ich ihm mit.
»War das Kittredge, den ich vorher aus Bancroft Hall herauskommen
sah?«, fragte Richard.
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Weißt du’s?«
»Du bist gerade in einem… kritischen Alter, Bill«, sagte Richard.
»Wir wollen doch nur, dass du dich bei Elaine vorsiehst.«
»Ich sehe mich bei ihr vor«, antwortete
ich ihm.
»Du hältst Kittredge am besten von ihr fern«, sagte Richard.
»Und wie genau soll ich das anstellen?«, fragte ich.
»Also, Bill«, setzte Richard an, als meine Mutter aus dem
Schlafzimmer kam. Ich erinnere mich, dass ich dachte, Kittredge wäre bestimmt
enttäuscht von dem, was sie anhatte – einen Flanellpyjama, kein bisschen sexy.
»Ihr redet immer noch über Sex, stimmt’s?«,
fragte meine Mom Richard und mich. Sie war sauer. »Ich weiß, dass ihr darüber
redet. Also, das ist nicht lustig.«
»Wir haben nicht gelacht, Jewel«, versuchte Richard sich zu
rechtfertigen, doch sie ließ ihn nicht ausreden.
»Lass gefälligst deinen Pillermann in der Hose, Billy!«, befahl mir
meine Mom. »Lass es mit Elaine langsam angehen und sag ihr, sie soll sich wegen
Jacques Kittredge vorsehen – sie soll sich bei ihm bloß vorsehen! Dieser
Kittredge ist ein Bursche, der Frauen nicht nur verführen will – er will, dass Frauen sich ihm unterwerfen !«,
sagte meine Mutter.
[178] »Jewel, Jewel, reite nicht darauf herum«, sagte Richard Abbott.
»Du weißt nicht alles, Richard«, informierte ihn meine Mutter.
»Das stimmt«, gab Richard zu.
»Ich kenne Jungs wie Kittredge«, sagte meine Mom; sie sagte es zu
mir, nicht zu Richard – und doch errötete sie.
Mir kam der Gedanke, wenn meine Mutter wütend auf mich war, lag das
daran, dass sie etwas von meinem Vater, dem Schürzenjäger, in
mir erkannte – vielleicht sah ich ihm immer ähnlicher. (Als ob ich daran etwas hätte ändern können!)
Ich musste an Elaines BH denken, der
unter meinem Kopfkissen auf mich wartete – »eher eine Frage der Kleiderwahl als etwas Organisches«, wie Richard über Ariels
Geschlecht gesagt hatte. (Wenn dieser kleine gefütterte BH nicht zu dem Thema Kleiderwahl passte, was dann?)
»Worum ging’s in dem ausländischen Film?«, fragte ich Richard.
»Für dich ist das kein geeignetes Thema«,
sagte mir meine Mutter. »Erzähl ihm ja nichts davon, Richard.«
»Tut mir leid, Bill«, sagte Richard kleinlaut.
»Bestimmt nichts, wovor Shakespeare zurückgeschreckt wäre«, sagte
ich zu Richard, sah dabei aber meine Mom an. Sie wich meinem Blick aus, ging
wieder ins Schlafzimmer und schloss die Tür.
Wenn ich gegenüber meiner einzigen wahren Freundin Elaine Hadley
verschlossen war, musste ich nur an meine Mutter denken; wenn ich weder Richard
von meiner Schwärmerei für Kittredge erzählen noch Miss Frost [179] gestehen
konnte, dass ich sie liebte, so hatte ich keinen Zweifel, wo diese fehlende
Offenheit herkam. (Fraglos von meiner Mutter, aber möglicherweise auch von
meinem Vater, dem Frauenhelden. Vielleicht von beiden, wie mir erst jetzt
auffiel.)
»Gute Nacht, Richard, ich hab dich lieb«, sagte ich zu meinem
Stiefvater. Er gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
»Gute Nacht, Bill, ich dich auch«, sagte Richard und schenkte mir
ein um Verzeihung bittendes Lächeln. Ich liebte ihn wirklich, kämpfte aber
zugleich dagegen an, wie enttäuscht ich von ihm war.
Außerdem war ich todmüde; es ist anstrengend, siebzehn zu sein und
nicht zu wissen, wer man ist, und Elaines BH rief
mich zu Bett.
[180] 5
Abschied von Esmeralda
Vielleicht muss sich erst die Welt für einen selbst
ändern, die ganze Welt, wie man sie kannte, damit man versteht, warum jemand
einen Epilog schreibt oder gar warum Der Sturm einen
fünften Aufzug hat und wieso der (von Prospero gesprochene) Epilog so
untrennbar zu diesem Stück gehört. Als ich meine jugendliche Kritik an Der Sturm äußerte, war meine Welt noch intakt.
»Hin sind meine Zauberein«, beginnt Prospero den Epilog – nicht viel
anders als Kittredge ein Gespräch hätte anfangen können, beiläufig und
scheinbar harmlos.
In jenem Winter 1960, in dem Elaine und ich unsere Maskerade fortsetzten,
was so weit ging, dass wir als Zuschauer bei Kittredges Ringerturnieren
Händchen hielten, begannen Martha Hadleys offizielle Bemühungen, der möglichen
Ursache (oder den Ursachen) meiner Sprachfehler auf den Grund zu gehen. Das
Wort offiziell verwende ich, weil ich
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