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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aufregend.
    Der zottelige Mr. Hadley mit seinem schütteren Bart – seinen
Vornamen, sofern ich ihn je wusste, habe ich längst vergessen – schien
eigentlich fürs Internatsleben ungeeignet, sollte aber später eine aktivere
Rolle auf dem Favorite-River-Campus spielen, als der Geschichtslehrer mit
seinem Fachwissen zu Diskussionen über (noch später: Protesten gegen) den
Vietnamkrieg beitrug. Weitaus denkwürdiger als Mr. Hadley war für mich der Tag
meiner Beichte in Martha Hadleys Büro, als ich meine Aufmerksamkeit ganz auf
ihren Hals richtete. »Was du mir auch sagst, Billy, wird dieses Büro nicht
verlassen – Ehrenwort«, sagte sie.
    Irgendwo in dem Musikgebäude übte ein Schüler Klavier – nicht eben
meisterhaft, wie ich fand, oder vielleicht saßen auch zwei Schüler an zwei
verschiedenen Klavieren.
    [184]  »Ich sehe mir die Versandhauskataloge meiner Mutter an«, gestand
ich Mrs. Hadley. »Ich stelle mir Sie unter den Models für Teenager- BH s vor«, erzählte ich ihr. »Ich onaniere«, gab ich zu – eins der wenigen Verben, die mir ein bisschen schwerfielen, nur dieses Mal
nicht.
    »Aber Billy, das ist doch kein Schwerverbrechen!«, sagte Martha
Hadley vergnügt. »Mich wundert nur, dass du dir ausgerechnet mich dabei vorstellst – wo ich so gar nicht attraktiv bin –, und ich staune ein bisschen, dass du Teenager- BH so einfach aussprechen kannst. Ich kann darin einfach kein Muster erkennen«,
sagte sie und schwenkte die immer längere Liste von Wörtern, mit denen ich mich
schwertat.
    »Ich weiß nicht, woran es bei Ihnen liegt«, gestand ich ihr.
    »Was ist denn mit Mädchen in deinem Alter?«, fragte mich Mrs.
Hadley. Ich schüttelte den Kopf. »Nicht Elaine?«, fragte sie. Ich zögerte, aber
Martha Hadley legte mir auf dem Sofa ihre kräftigen Hände auf die Schultern und
sah mir in die Augen. »Es ist in Ordnung, Billy – Elaine glaubt nicht, dass du
auf die Art an ihr interessiert bist. Und das hier bleibt vollkommen unter uns,
das weißt du doch noch, oder?« Mir kamen wieder die Tränen; Mrs. Hadley zog
meinen Kopf an ihre harte Brust. »Billy, Billy – du hast doch nichts Falsches getan!«, rief sie.
    Wer auch immer an ihre Bürotür klopfte, musste das Wort Falsches gehört haben. »Herein!«, rief Mrs. Hadley so
schrill, dass mir klar war, woher Elaine ihre durch Mark und Bein gehende
Stimme hatte.
    Es war Atkins – bekannt als Lusche, aber ich hatte nicht [185]  gewusst,
dass er Musikunterricht nahm. Vielleicht hatte Atkins ein Problem mit der
Stimme; vielleicht gab es Wörter, die er nicht aussprechen konnte. »Ich kann
später wiederkommen«, sagte er zu Martha Hadley, während er mich immer weiter
anstarren musste oder sie nicht ansehen konnte – eins von beidem. Jeder Trottel
konnte mir ansehen, dass ich geweint hatte.
    »Komm in einer halben Stunde wieder«, sagte Mrs. Hadley zu ihm.
    »Gut, aber ich hab keine Uhr«, wandte er ein, ohne mich aus den
Augen zu lassen.
    »Nimm meine«, bot sie ihm an. Als sie ihre Armbanduhr abnahm und ihm
reichte, merkte ich, was mich zu ihr hinzog. Martha Hadley hatte nicht nur ein
maskulines Äußeres – sie war dominant wie ein Mann, bei allem, was sie tat. Ich
konnte mir nur vorstellen, dass sie auch im Bett dominant war – dass sie jedem
ihren Willen aufzwang und dass es schwierig war, sich ihr zu widersetzen. Aber
warum sollte mich das ansprechen? (Natürlich nahm ich diese Überlegungen nicht
in mein Teilgeständnis vor Mrs. Hadley auf.)
    Atkins glotzte stumm auf die Uhr, so dass ich mich schon fragte, ob
er ein derartiger Versager und Trottel war, dass er die Uhrzeit noch nicht
lesen konnte.
    »In einer halben Stunde«, mahnte ihn Martha Hadley.
    »Es sind römische Ziffern«, sagte Atkins verzweifelt.
    »Behalt einfach den Minutenzeiger im Auge. Zähl dreißig Minuten ab,
und dann kommst du wieder«, beschied ihn Mrs. Hadley. Atkins ging, den Blick
immer noch auf die Uhr geheftet; die Tür ließ er offen. Mrs. Hadley stand [186]  vom
Sofa auf und machte sie zu. »Billy, Billy«, sagte sie zu mir. »Deine Gefühle
sind vollkommen in Ordnung – mit dir stimmt alles.«
    »Ich hab mir gedacht, ich sollte mal mit Richard drüber reden«,
sagte ich ihr.
    »Das ist eine gute Idee. Mit Richard kannst du über alles reden –
ganz bestimmt«, sagte Martha Hadley.
    »Aber nicht mit meiner Mutter«, sagte ich.
    »Deine Mutter, Mary. Meine gute Freundin Mary…«, setzte Mrs. Hadley
an und unterbrach sich gleich wieder. »Nein, nicht mit

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