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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sich Larry jeweils unseren Freunden zu – die
hauptsächlich seine waren und überweigend älter als
ich – und sagte: »Bill schreibt Prosa, aber mit einem
Ich-Erzähler im Enthüllungsstil der Bekenntnisliteratur; seine Prosa klingt so
stark nach Autobiographie, wie er es nur irgend hinkriegt.«
    Dann drehte er sich wieder zu mir und sagte, als wären wir allein
und seine Bemerkung nur für meine Ohren gedacht: »Trotzdem irrst du dich, mein
lieber Bill – in den Sechzigern sagte man noch nicht aktiv und passiv. «
    Das war typisch Larry; er musste immer recht haben. Ich lernte, mich
nicht wegen Kleinigkeiten mit ihm zu streiten. Und sagte meist brav: »Ja, Herr
Professor«, denn wenn [198]  ich ihm widersprach, riskierte ich, dass er sich
einmal mehr über meine Herkunft aus Vermont lustig machte oder dass er vorgab,
ich hätte behauptet, ein Werfer zu sein, obwohl ich für ihn von Anfang an wie
ein Fänger ausgesehen hätte. (»Fanden das nicht alle?«, fragte Larry gern seine
Freunde.)
    Der Lyriker Lawrence Upton gehörte jener Generation älterer schwuler
Männer an, die grundsätzlich die meisten anderen Schwulen für passiv hielten,
egal, was sie sagten – und die glaubten, dass selbst wer behauptete, aktiv zu sein, mit der Zeit schon noch passiv werden würde. Da Larry und
ich uns in Wien kennengelernt hatten, wurde unsere dauerhafte
Meinungsverschiedenheit darüber, was jeder von uns bei diesem »ersten Date«
genau gesagt hatte, zusätzlich davon beeinflusst, was viele Europäer bis heute
glauben – nämlich, dass wir Amerikaner die Sache mit dem Aktiv-oder-Passiv-Sein
viel zu wichtig nehmen. Die Europäer waren schon immer der Meinung, dass wir
diese Vorlieben zu strikt voneinander abgrenzen, als ob jeder Schwule entweder
das eine oder das andere wäre – jedenfalls bekomme ich das heutzutage von so
manchem jungen arroganten Typen zu hören.
    Larry – ein passiver Partner wie aus dem Bilderbuch – fühlte sich
chronisch missverstanden, was er mir ebenso zickig wie geziert immer wieder
vorhielt. »Ich bin viel vielseitiger als du!«, beteuerte er mir einmal unter
Tränen. »Der Unflexible in unserer Beziehung bist du – egal, wie oft du
behauptest, du stehst auch auf Frauen, oder so tust, als ob!«
    In den späten siebziger Jahren (Larry nannte sie das »selige
Zeitalter der Promiskuität«), als wir uns zwar noch [199]  regelmäßig in New York
trafen, aber nicht mehr zusammenwohnten, konnte man der sexuellen Vorliebe
seines Gegenübers nur in diesen Lederbars sicher sein, wo ein Stofftaschentuch
in der linken Gesäßtasche den aktiven, in der rechten den passiven Partner
markierte. Ein blaues Tuch stand für Ficken, ein rotes für Faustficken – aber
was spielt das heute noch für eine Rolle? Außerdem gab es da noch dieses
äußerst nervige Signal mit den Schlüsseln, die man je nachdem an der rechten
oder linken Gürtelschlaufe seiner Jeans einhakte. In New York achtete ich nicht
darauf, wo ich meine Schlüssel einhakte, und wurde deshalb andauernd von
irgendwelchen signalbewussten Aktiven angemacht – dabei war ich doch selber
aktiv! (Das konnte wirklich ganz schön nerven.)
    Selbst in den späten Siebzigern, knapp zehn Jahre nach Beginn der
Schwulenbewegung, beschwerten sich die älteren Schwulen – ich meine, älter als ich und sogar älter als Larry – über das
Aktiv-Passiv-Getue. (»Warum wollt ihr Typen das ganze Geheimnis rausnehmen? Das
Geheimnis ist doch ein aufregender Bestandteil beim Sex?«)
    Ich wollte gern wie ein schwuler junger Mann aussehen – zumindest
schwul genug, damit andere schwule Jungs und Männer zweimal hinsahen. Aber ich
wollte auch, dass junge und ältere Frauen ebenfalls zweimal hinsahen.
Gleichzeitig wollte ich mir in meinem Äußeren etwas provokativ Maskulines
bewahren. (»Willst du heute Abend mal wieder besonders aktiv wirken?«, fragte Larry mich einmal, möglicherweise zu Recht.)
    Mir fiel wieder ein, wie Richard bei unseren Proben zu Der Sturm gesagt hatte, Ariels Geschlecht sei »wandelbar«; [200]  er
hatte gesagt, auch das Geschlecht von Engeln sei wandelbar.
    »Mit anderen Worten: So sieht es der Regisseur?«, hatte Kittredge
Richard gefragt.
    Wahrscheinlich legte ich es darauf an, sexuell wandelbar auszusehen, etwas von Ariels unentschiedener Sexualität auszudrücken. Ich war
klein, aber gut aussehend und wusste es auch. Wenn ich wollte, konnte ich auch
unsichtbar sein – »ein Luftgeist« wie Ariel. Es gibt kein eindeutig
festgelegtes

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